„Sie fühlte in das Vakuum in ihrem Körper hinein, der Schmerz im Rücken nistete sich auf der Höhe der Lenden ein, er würde dort hocken bleiben, wie sie gerade neben diesem Mann hockte, einem Mann, der sie vom ersten Moment an überwältigt hatte.“

Es ist der 1. Mai 1953 in Konstanz – Renina, eigentlich Marie Dietrich, wacht mit Schmerzen auf, sie liegt mit zwei fremden Personen nackt in einem Bett und weiß nicht, was vorgefallen ist. Sie vermutet: Ihr Mann der berühmte Atomphysiker Dr. Fred Dietrich, der zudem auch noch Neffe der berühmten Marlene Dietrich ist, hat sie erneut bewusst los gemacht und sie zu sexuellen Handlungen gezwungen. Renina reicht es und möchte die Scheidung von ihrem Mann, der egozentrisch, kontrollsüchtig und bestimmend ist. Als sie ihm dies mitteilt, wird sie erneut übermannt und vergewaltigt. Sie läuft schließlich weg und zufälligerweise in die Hände von Erica, die eine gute Bekannte ihrer Eltern ist und ihr bei der Gründung der ersten Frauenzeitschrift Deutschlands helfen will. Im Laufe des Tages versichert sich Renina ob ihres Scheidungswunsch bei ihren Freundinnen, ihrem drogenabhängigen und spielsüchtigen Bruder, der Haushälterin, als auch ihren Eltern und ihrem langjährigen Freund Basil:

„Basil hatte heute beim Reiten gesagt, sie solle Menschen hinter sich haben, die sie deckten, nicht angriffen.“

Den potenziellen Angriff ihres Noch-Ehemannes versucht sie mit dem sozialen Netz abzuwehren, das sich tagsüber formiert. Daneben nimmt die Gründung der Zeitung immer mehr Formen an. Am Abend streitet das Ehepaar und schließlich wird Fred zum gewalttätigen Täter:

„Sie spürte ihren Körper nicht. Sie spürte keine Aufregung, keine Angst. Nicht einmal ihre übliche Atemnot oder die Rückenschmerzen, die sie seit heute Morgen begleitet hatten. Sie sah der Szene einfach zu.“

 „Der Frühling ist in den Bäumen“ reiht sich in das Genre historischer Fiktion ein und nimmt es, bei näherer Recherche, nicht so genau mit den Fakten aus der Vergangenheit – Marlene Dietrich, die als Figur in diesem Buch als roter Faden avanciert, hatte zwar einen Neffen, dieser hieß aber Hans-Georg Will und war zu Lebzeiten niemals als berühmter Atomphysiker bekannt. Im Gegenteil: Besonders seine Mutter Elisabeth, Marlene Dietrichs Schwester, wurde in der Öffentlichkeit kritisch beäugt für ihre NS-Vergangenheit als Mittäterin des Regimes, wohnte sie doch in einer Kaserne in Bergen-Belsen, unweit des Konzentrationslagers. Marlene Dietrich war 1953 zudem weit weg von familiären Gefilden, war sie für ihre Shows hauptsächlich im Café de Paris in London und im Sahara Hotel in Las Vegas.

Die Gründung der ersten Frauenzeitschrift Deutschlands soll in diesem Buch einen bedeutenden Nebenstrang einnehmen, schafft es jedoch nicht und fällt auch hier mit einer falschen historischen Einordnung auf: Bereit 1725 wurde die erste Frauenzeitschrift Deutschlands namens „ Die vernünftigen Tadlerinnen“ in Leipzig gegründet – in der Bundesrepublik, als auch in der DDR gab es nach dem Zweiten Weltkrieg mannigfaltig viele Frauenzeitschriften, die auch von Frauen gegründet und publiziert wurden.

Jana Revedin hat drei Themen in diesen Roman verpackt: Das Frauenbild und die Frau in der Nachkriegszeit, Gewalt in der Beziehung und toxische Beziehungsmuster, sowie Scheidung im aufstrebenden Wirtschaftswunder Deutschland, das durch eine konservative, patriotische Gesellschaft geprägt war. Im Gegensatz zur Scheidungsthematik und der Rolle der Frau finden Gewalt und toxische Beziehungsmuster Eingang in die Handlung, die genau auf einen ganzen Tag ausgelegt ist und so auch den Roman strukturieren.

Während es Revedin gut gelungen ist, die Handlungsmacht zugunsten der Frau ausfallen zu lassen und durch viele Dialoge ebendiese zu erfrischen und nahbar zu machen, wird es Lesende schmerzen, dass sich zum einen alle Figuren als Opfer des vergangenen Nationalsozialismus begreifen und dies literarisch nicht ausverhandelt wird. Zum anderen setzte Revedin die Figuren und die Handlung in ein wohlhabendes, bourgeoises Milieu – abseits der noch armutsbetroffenen Arbeiterschicht, die zwar ähnliche, gar gleiche Sorgen hat, aber jedoch nicht die Möglichkeiten, etwas daran zu ändern.

Unbehagen bereitet der Roman mit dem Titel „Der Frühling ist in den Bäumen“ anhand seiner Gegenwärtigkeit durchaus: Es brauchte noch vierzig Jahre, bis Vergewaltigung in der Ehe zu einem Strafbestand wurde, erst 1976 löste das Zerrüttungsprinzip das Schuldprinzip bei einer Scheidung dank der Reform des Ehe- und Familienrechts ab. Die Zahl der Femizide ist dennoch seit Jahren hoch.

„Der Frühling ist in den Bäumen“ dient als Lehrstück für die (unausgesprochene) Täterschaft, egal ob in der Gegenwart oder in der Vergangenheit.

Informationen zum Buch:

Jana Revedin |Der Frühling ist in den Bäumen | Aufbau Verlag | 250 Seiten | ISBN 978-3-351-04192-2 | 22,70

Ein Dankeschön an den Verlag für das Rezensionsexemplar.