Autor: katkaesk

  • miau Miau

    Ich verharre weiterhin in dieser Sprachlosigkeit, mir denken, dass all das, was ich zu sagen habe, nicht wichtig sei, angesichts der Dinge, die so in der Welt passieren. Ich verpasse das Schreiben, aus Angst, über das zu schreiben, was bereits gedacht und geschrieben wurde. Ich entdecke das Uninspirierte, das Unwesentliche, das Ungenügende an mir und bin wenig überrascht davon. Die meiste Zeit möchte ich wie eine Katze zusammengerollt in einem bequemen Polstermöbel liegen und von der Welt nichts mehr mitbekommen. Ich will ein paar Mal noch maunzen und dann die meiste Zeit schlafend auf meinem angestammten Platz liegen. Es sind gerade sehr dunkle Tage, dabei scheint die Sonne die meiste Zeit. Gestern träumte ich von unserer Fahrt nach Frankreich und daran, dass ich deinen Heiratsantrag abgelehnt habe, weil unsere erste Tochter Valerie heißen sollte und ich den Namen nicht ausstehen kann. Vielleicht auch, weil Beziehungen Kampf sind, und es sich als Verrat am Feminismus angefühlt hätte.

    Manchmal wäre ich dann doch gern aus Faulheit verheiratet, um nicht immer erklären zu müssen, warum ich (noch) keine Kinder habe und keinen Ehering vor mich hertrage. Generell habe ich keine Lust mich zu erklären. Manchmal wäre ich gern so tot, wie ich dachte, dass ich es sein werde, ich hatte mit einem kurzen Leben gerechnet und mir einen weiteren Verlauf jenseits der Dreißig nicht ausgemalt. Ein Leben zu gestalten, erscheint mir anstrengender als anderen Menschen. Ich denke sehr oft an deine Wut, als du dein Notizbuch in den Sand gepfeffert hast, weil du die Nase gestrichen voll von mir hattest, weil ich nicht so funktionierte, wie du es gerne gehabt hättest. Sehr oft schämte ich mich, für dich nicht diese zierliche, extrovertierte Person zu sein, die dem Leben gewinnend begegnete. Sehr oft schäme ich mich, noch immer jemand zu sein, den man lieber versteckt denn herzeigt.

    Je älter ich werde, desto weniger hoffe ich. Sum, ergo dubito. Alle paar Jahre beginne ich eine neue Sprache zu lernen, in der Hoffnung, dann in einer anderen Sprache weiterleben zu können und in meiner Muttersprache nicht verzweifeln zu müssen. Ich fühle, dass mir meine Sprache genommen wird und finde keinen Ersatz dafür. Ich habe Sprache immer geliebt, solange bis sie mir von Menschen im Literaturbetrieb genommen wurde. Ich spreche diese Form der Sprache nicht, es ist anstrengend, mit Menschen tun zu haben, die toxisch sind und bei jeder Begegnung ihre falsche Freundlichkeit aufsetzen. Es gehört sich im Literaturbetrieb nicht zu sagen, dass man jemanden nicht ausstehen kann, dass die Person zweifelhaft, egoistisch, narzisstisch, verlogen ist. Die meisten meiner Profile sind gelöscht, weil es ungeliebten Sport ähnelt, eine Performance nach der anderen zu sehen anstatt des echten Menschen.

    Wenn ich an Performance denke, denke ich an meine Mutter. Daran, wie anstrengend es sein muss, ein freundlicher, lustiger, quirliger Mensch zu sein, wenn andere Menschen um uns sind und ihr böses, narzisstisches Naturell zu verbergen. Ich mag meine Sprache nicht, weil ich in dieser Sprache immer ungenügend sein werde für sie. Sehr lange hatte ich ein großes Bollwerk an Wörtern aufgebaut, dass mich schützte, vor all den Gemeinheiten und Grausamkeiten. Sie empfindet es als Ungerechtigkeit und wirft mir mehr als einmal vor, dass dieses Bollwerk sie als minderwertigen Menschen dastehen ließe. Ich habe daher aufgehört, in ihrer Gegenwart zu sprechen, ich ernte Sätze wie schwerer Hagel auf Weizenfeldern. Ich wünschte, ich könnte eine Sprache anbieten, in der wir beide ohne Schäden existieren können.

  • [rezension] Stammzellen // Alina Lindermuth

    [rezension] Stammzellen // Alina Lindermuth

    „Vielleicht sind wir einfach zu blöd, als Menschen, um so zu leben, dass es gut für uns ist. Und die Natur zeigt uns das auf ihre Art. Vielleicht sogar ohne Intention, vielleicht ist es wirklich einfach die Summe allen Lebens auf der Welt, das sich zusammentut, biochemisch, irgendwie auf Atomebene, vielleicht ist es ein logischer, völliger nächster Schritt, halt ohne Menschen, wir  so unkollegial waren die letzten paar Hundert Jahre.“

    In Alina Lindermuths Roman „Stammzellen“ verschwimmen die Grenzen von Mensch und Umwelt deutlich, eine Welt literarisch, dystopisch, poetisch und bedrohlich zugleich baut sich auf, die Lesende zuletzt vor die Frage stellt: Was darf der Mensch?

    Die Protagonist:innen Ronja und Elio, die sich zu Beginn des Romans unsterblich ineinander verlieben und vereint in ihrer Liebe zur Natur sind, sehen sich mit einem Phänomen konfrontiert, dessen Lösung auf sich warten lässt: Menschen erkranken plötzlich an Dendrose, sie verwandeln sich also langsam zu Bäumen. Der Vorgang der Dendrose kann weder gestoppt noch rückgängig gemacht werden.

    „Wie es sich wohl anfühlt, fragt sie sich. Ob man wirklich nichts davon spürt? Ob man einfach in den Zustand übergeht? Oder ob man doch stirbt?

    Diese Metamorphose von Mensch zur Pflanze dient als Steilvorlage, um die unwiderlegbare Symbiose zwischen den Menschen und der Umwelt zu begreifen. Lindermuth stellt rhetorisch die Fragen nach den Auswirkungen des Klimawandels: Wie wird Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auf Krankheiten reagieren, die aus dem Klimawandel resultieren? Die potentiellen Risse beleuchtet Lindermuth auf drei Ebenen: der persönlichen, als auch der nationalen und globalen Ebene.

    Schnell fühlt man sich an das Buch „Die Stadt der Blinden“ von José Saramago erinnert, wo eine plötzliche Epidemie zur Erblindung der Gesellschaft führt und ebenjene ins Chaos stürzt. Beide Werke fordern die Lesenden auf, über die Fragilität menschlicher Existenz und über die Abhängigkeit des Menschen von der Natur nachzudenken. Lindermuth folgt der bewährten Tradition, drastische Wendungen mit schwarzem Humor und treffenden Sprichwörtern aufzulockern, um den Lesenden eine leichtere Erträglichkeit der Lektüre zu ermöglichen.

    Stammzellen ist eine Liebesgeschichte: Eine große zwischen Mensch und Natur, eine größere zwischen Eltern und Kind, eine der größten zwischen zwei Menschen:

    „Elio greift um sie herum und kippt sie wieder auf die Seite, ganz nah an sich heran, ihre Brustwarzen sind noch steif, sie berühren die Haare auf seinem Körper, er rückt noch näher, legt die Stirn gegen ihre, atmet so tief ein, als wollte er auch noch die verbliebene Luft zwischen ihnen aufsaugen.“

    Die Protagonist:innen hadern mit sich, mit ihren Menschen um sich und mit der Zukunft – das Verbleiben und sich späte Entwickeln der Charaktere zeichnete sich bereits in ihrem vorherigen Roman „Fremde Federn“ ab. Lindermuth zeigt vor allem selbst viel Liebe: Für Geschichten, die auf dem Land verwurzelt sind; für ältere Menschen, die einen besonderen Platz in ihren Romanen bekommen.

    Lindermuth gelingt es in leisem Nature writing zu verbleiben, die Dringlichkeit der Klimakrise literarisch zu verarbeiten, Ängste zu schüren, wie es climate fiction nur kann und gleichzeitig eine Liebesgeschichte zu Papier zu bringen, die die Hoffnung vermittelt, die Möglichkeit einer tiefen, symbiotischen Verbindung zwischen Mensch und Natur wieder neu anzugehen.

    [Information] Alina Lindermuth: Stammzellen. Kremayr & Scheriau. 312 Seiten. Hardcover. 978-3-218-01446-5. 25 Euro.

    Danke an die Agentur Wolkenlos und Kremayr & Scheriau für das Rezensionsexemplar.

  • [Rezension] KALK | Dirk Bernemann

    [Rezension] KALK | Dirk Bernemann

    „Es stinkt, nach ihm, nach der Nacht, nach Zigaretten, ein bisschen auch nach Selbstmitleid. Da ist ein Schmerz, als wäre ein Fremdkörper im Kopf.“

    Kalk, Mitte 50, in einem Elektrofachhändel tätig, macht Urlaub. Er muss raus, aus seinem Alltag, aus seinem verschissenen Leben, durchatmen und Neues in den Kopf bekommen. Die Gespräche beim allwöchentlichen Tischtennis spielen mit Förster langweilen und nerven ihn, es ist für ihn alles immer die gleiche Leier, sei es sich wiederholende Verkaufsunterhaltungen, das Einkaufen gehen, die kaputte Beziehung zu Nina.

    Obwohl er in weit entfernte Länder reisen könnte, beschließt er dennoch den Urlaubsort seiner Kindheit aufzusuchen – ein verschlafenes Nest in den Niederlanden, Kijkduin. Dort gibt es bloß eine Strandpromenade und eine Einkaufspassage, genau so wenig Attraktionen, damit Kalk zu sich finden kann. Die Selbstfindung lässt jedoch auf sich warten – Kalk wird unfreiwillig zum Helden und rettet einen Jungen, der hinaus in Meer treibt. Aus Dankbarkeit muss er sich nun mit der Familie Berger herumschlagen, die ihn freundlicherweise zum Essen einlädt und die Frau noch freundlicher zu verstehen gibt, dass sie sexuelles Interesse an Kalk hat.

    „Mit f, meine Eltern waren einfache Leute.“

    „Würdest du mich ficken, Stefan Kalk mit f?“

    Bitte, denkt Kalk, sag nicht Stefan zu mir.

    „Natürlich würde ich das.“

    Die Situation entgleitet Kalk, er merkt, nur ein Lückenbüßer zu sein, egal ob es bei seinem Freund Förster ist, oder bei Melanie Berger, oder Nina. Kalk trinkt viel zu viel, wacht ständig mit Kopfweh auf und schlägt sich den Magen mit Frikandel voll. Er bemerkt, wie er seinem Vater immer ähnlicher wird und nun selbst in dem Stadium eines weißen, alten Mannes angelangt ist.

    Bernemann, selbst Exemplar der Generation X, denkt sich in dem Roman „Kalk“  in eine Boomer Generation hinein und bleibt doch in der Orientierungslosigkeit der eigenen Generation hängen. Eine typisch, deutsche Kindheit, die geprägt von Nordseeurlauben ist, gerne auch in den benachbarten Niederlanden, will neuen Sinn finden. Kalk dient dabei als Vorlage als Ausweglosigkeit eines missglückten Lebens. Spannend und neu ist das nicht, witzig schon:

    „Zeit vergeht, einfach so. Altern ist eine Nebenhandlung menschlicher Existenz. Das Unvermeidbare geschieht ohnehin. Die Enttäuschungen, die währenddessen passieren, intensivieren nur das Drama der Existenz.“

    Das eigene Drama liefert Bernemann frei Haus – wir alle könnten die Kalks einer ungewissen Zukunft sein, gefangen in einem Leben, das wir uns anders hätten erträumt, geschunden von kaputten Beziehungen, misanthropisch wegen all der schlechten Erlebnisse. Zeitweise hat man Mitleid mit dem gepeinigten Kalk, zeitweise steigt Zorn auf, wie schlecht die anderen Menschen in Kalks Leben wegkommen. Man kann Kalk nicht mögen und ihn doch verstehen.

    Vielleicht gelingt es dann noch, zu verstehen, warum man inhaltlich noch ein Buch einem alten, weißen Mann gewidmet hat. Wer der Welt mit Zynismus begegnet, wird es lieben. Alle anderen verlieren sich zumindest gerne in der Sprache, die so ungefiltert in die Welt stolpert.

    [Information] KALK. Dirk Bernemann. Edition W. 201 Seiten. ca. 25 Euro.