Es hatte den ganzen Tag geregnet, der Nebel zog langsam auf und verdichtete die Stadt. Unsichtbar.

Erschöpft zog sie sich ihre Kleidung aus, warf sie ungalant auf den Boden und schob sie in eine Ecke. Die schwarzen Augenränder im Spiegel erzählten ihr von ihrem anstrengenden Leben, dass sie führte, aber nicht für sie selbst. Für die Welt da draußen, das war ihr erst vor Kurzem das erste Mal bewusst geworden. Sie führte das Leben für andere. Das Leben war ihr zur Last geworden, wie der Nebel befand sie sich im Dunstkreis der Alltäglichkeiten, und nichts, wirklich nichts half, das Grau vom Boden aufzuheben. Sie lebte, aber immer für andere, manchmal mit anderen, manchmal unter anderem, nie für sich selbst.

Langsam zog sie die Spuren nach, die die Kleidung an ihrem Körper tagsüber hinterlassen hatte. Sie hatte das Gefühl, als ob ihr eigener Körper eine Metapher für ihr Leben geworden war. Gequält betrachtete sie sich im Spiegel. Wie oft zwang sie sich in eine Form, die nicht passte, nur damit sie anderen gefallen konnte? Manche Einschnitte der Kleidung hatten rötliche Linien hinterlassen. Ihr Leben passte in das Leben der anderen, nicht umgekehrt. Sie seufzte.

Bedächtig zog sie zuerst ein Top an, streifte es zurecht und schlüpfte in ihren Pullover. Warum konnte das Leben nicht wie der Lieblingspullover sein? Gemütlich, immer wieder verwendbar, vertraut. Das Leben war jedoch wie die neue Jeans, die nach jedem Waschgang drückte, schlecht zu bügeln war und im Endeffekt doch nie optimal passte. Sie schnappte sich ihre Leggings und zog sie allmählich an sich hoch. Die Socken streifte sie an ihrem Bund darüber. Das Leben war ihr schuldig geblieben so zu sein wie Socken, das Leben war kein treuer Begleiter, es hatte selten etwas Wärmendes, und es gestattete sich in den meisten Lebensphasen überschätzt zu werden.

Behäbig legte sie sich in ihr Bett. Das Leben kannte keine Entspannung und Ruhezeiten schon gar nicht. Die meisten Menschen verstanden Globalisierung auch nur so, dass sich die Welt immer um sie dreht, und hatte die Welt aufgehört, sich zu drehen, drehten die Leute durch.

Das Leben hatte keinen weichen Boden wie Matratzen, der Boden der Tatsachen war weit aus härter. Betten rochen gut, Betten rochen nach vertrauten Menschen, das Leben roch jedoch vor allem nach abgestandener, heißer Luft, die Menschen von sich gegeben hatten. Das Leben hatte die Angewohnheit nach der Scheiße zu stinken, die Menschen tagtäglich von sich gaben und sich dann wunderten, dass sie knöcheltief in dieser standen.

Sie grub sich in die Kissen ein und zog die Decke hoch. Angenehme Müdigkeit erfasst ihren Körper. Gravitätisch atmete sie ein und wieder aus. Erschöpfung hatte sich in ihrem Körper breit gemacht, das Leben war zur Verantwortung zu ziehen. Nichts erschöpfte mehr als Leben, es war mitunter nur die bloße Existenz, die sie erschlaffen ließ. Es war vielleicht nicht mal die bloße Existenz, es waren die anderen Menschen. Sie übten sich vor allem in Mund voll nehmen. Die Menschen fanden mittlerweile alles im Internet, nur sich selbst zu finden war zur Sisyphus-Aufgabe geworden. Das Wissen, dass man sich selbst nicht zurückgeben konnte, dass man eine lebenslange Garantie für sich selbst hat, und sich nie umtauschen konnte, zermürbte die anderen wohl mehr als sie. Sie hatte in diesem Punkt schon längst resigniert.

Die Augen fielen allmählich zu, ihren Körper rollte sie zusammen.

Pause.