Begegnung inspiriert, bringt neue Ideen so wie eine gegenwärtige Neuauflage des Reigens, der dramatisch und anregend sich der Fragestellung widmet, wie fragwürdig Monogamie in der Literatur und im echten Leben sei.
Zuweilen nah am Originaltext und doch einer Transformation für die Gegenwart unterzogen worden, zeigt sich Reigen Reloaded als zehnstimmiges, sprachliches Ereignis, das mit jeder Weiterführung Überraschungen parat hält.
Die größte Unvorhersehbarkeit ist gleich zu Beginn in Gertraud Klemms Ausschnitt Leonie und Josh zu finden, die sich in Form gezielt an Schnitzlers Reigen hält und den Bogen zur intimen Performance in neuen Medien kreativ spannt. Sie wirft ebenso die Frage der sexuellen Erpressbarkeit auf und konfrontiert Lesende mit dem Thema der Legalität von Liebesbeziehungen. Gustav Ernst nähert sich künstlerisch dem Indien, das auch bei Schnitzer Thema ist und zeigt die soziale Durchlässigkeit seiner handelnden Personen, eine Neuadaption gesellschaftlicher Verhältnisse, die bei Arthur Schnitzlers Reigen vor 120 Jahren noch nicht so gegeben waren. Bettina Balàka, Daniel Wisser, Michael Stavarič, Thomas Stangl treffen den Lokalkolorit und den Wiener Humor haarscharf und erzeugen eine heimelige, wienerische Atmosphäre im Buch.
Die Autor*innen geben ihren Personen und Namen und doch nicht, sie sind beliebig zu lesen. Mögen sie im Original Robert, Emma, Alfred, Franz oder Marie heißen, so sind es hier Mia, Benedikt, Anna oder die Funktionsbezeichnung Magister. Angela Lehner nennt ihre weiblich gelesene Figur Baby und nähert sich der Person so, dass sie zur Ich-Erzählerin wird, und übernimmt die Sicht des wirtschaftsaffinen Herbert. Ein faszinierender Blick, der sich vor Klischees nicht fürchtet und doch nach den Grenzen von einvernehmlichem und gezwungenem Sex sucht. Auch die Herausgeberin Barbara Rieger schlüpft in das Ich der Geschichte und gibt sich ganz der Rolle der Schauspielerin hin. Die Balance zwischen der Neuinterpretation der Originalhandlung, Auflösung der Namen in ein bloßes ich und Du, als auch die Anlehnung der im Ursprungstext zu findenden Reptilien- und Insektenmetaphern ist hier grandios gelungen. Martin Peichl weiß ebenso um die Bedeutsamkeit von Tiermetaphern und ergänzt die Raben, die als Hommage an den rabenschwarzen Humor Arthur Schnitzlers zu lesen sind. In diesem Text lässt sich die vorangegangene, eingängige Beschäftigung mit dem Original nachweisen, der Dichter, der leise ein „Sonne, Bad, Dämmerung, Mantel“ in den Raum wirft, wie in der Umarbeitung ein „Du trägst das Licht wie einen Bademantel“ zu finden ist. Das literarische Ringelspiel endet mit Petra Ganglbauers monologischen Gewürznoten, die den Lesenden vereinnahmend die Nöte des alten Herren gewahr werden lassen.
Interessant erscheint die Fragestellung, warum das Buch an heteronormativen Liebesbeziehungen festhält, und nicht den Weg hin zu einer sexuellen Diversität wählt. Abgesehen davon gelingt es aber Barbara Rieger sehr gut, die 10 Autor*innen sprachlich stimmig zu vereinen und einen neuen Kodex der Intimität in die literarische Gegenwart zu holen. Besonders hervorzuheben ist die gelungene graphische Gestaltung in Jugendstil-ähnlicher Art und Weise durch Sheila Ehm, die das Zeichen der Viertelpause in einen neuen Kontext setzt. Reigen Reloaded ist eine Annäherung an Arthur Schnitzler, ohne dass es Anspruch an Aneignung stellt.
Originalbeitrag
Für die Rezension ist die Verfasserin verantwortlich; Rezensionsexemplar freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt