[rezension] Johannes Wally // Was dazwischen kommt

Wie in einem Netz sind die Personen in diesem Roman miteinander verbunden: Im Zentrum steht der Anästhesist Haimo Wildner, der glaubt, dass er bei der Maturareise 1983 seinen besten Freund Karl Jesenký umgebracht hat. Besonders pikant daran ist, dass es eine Hassliebe zwischen dem herzkranken Karl und Wildner ist; häufig wird Wildner von seinem Freund erinnert, keinen Vater zu haben und verarmt aufwachsen zu müssen, während der Freund gut situiert ist und sich daher dem Mobbing gut und gerne diesbezüglich hingibt.

 Im Laufe seines Lebens löst sich Wildner von seiner Schuld und kann sein wahres Ich zeigen, indem er ein Aktmodel sein darf in Lauras Zeichenkurs; die Frau, die er seit langem liebt und ein gemeinsames Kind hat. Zu Beginn des Buches werden 23 Personen genannt, die mehr oder wichtig für die Geschichte sein sollen, die Entscheidung, welche Person tatsächlich bedeutend ist in diesem Geflecht an Personen, wird den Lesenden überlassen.  

Wildner will zeigen wie er ist, seine Erzählung beginnt 2008 in Valetta. Dort ist er gerade auf Urlaub, man wird das Gefühl nicht los, dass er sich von seiner Freundin, die neun Jahre jünger ist, trennen will. Ein kurzes sexuelles Intermezzo mit einem jungen, maltesischen Mann wirft ihn zudem aus der Bahn.

„Dass etwas gut war. Das war selten. Dass etwas zu gut war. Das kam öfter vor.“

Auf der Rückreise begegnet er Sophie, die er nicht erkennt, aber die Schwester des Verstorbenen ist. Diese kann sich vom Tod des Bruders nicht lösen und sieht in fremden Gesichtern gerne das Antlitz ihres verstorbenen Bruders.

Insgesamt spielt das Buch zu drei verschiedenen Zeitpunkten: Es erzählt ab 2008 die Begegnungen von Wildner, Sophie, Laura, sowie seinem Freund Götz. Es springt dann in das Jahr 2017, wo Pater Ignaz erzählt, der der Klassenvorstand von Wildner und dem Toten war. Ebenso wird eine weitere Perspektive eingeführt, die von Thomas erzählt, der freundschaftliche, womöglich amouröse Gefühle für Pater Ignaz hegt, und die beiden Hauptcharaktere kennt. Zum Schluss begibt sich das Buch in das Jahr 2019, wo erneut die Personen aus 2008 in irgendeiner Weise wieder aufeinandertreffen und etwas mehr von ihrem Geflecht preisgeben.

Obwohl das Buch die Hintergründe des Todes versucht aus vielen Blickwinkeln zu beleuchten, leidet es unter einem Übermaß an Perspektiven, was die Lesbarkeit beeinträchtigt. Ohne das Register wäre es schwer gewesen, den Faden zu behalten. Weniger Blickwinkel würden dem Buch wahrscheinlich guttun und es zugänglicher machen.

Hingegen ist es dem Autor Wally sehr gut gelungen die Puzzlestücke der Geschichte des Karl Jesenký in das Buch zu verstecken und sich beim Lesen ein Bild daraus basteln zu können, wenngleich es außerordentlicher Anstrengung erfordert.

Wenig begeistert werden handlungsgetriebene Lesende wohl ebenso sein von der Tatsache, dass sich die Handlung des Buches hauptsächlich auf innere Monologe, Gedanken und Gefühle sowie Absichten und Erinnerungen der Charaktere konzentriert, während nur wenig tatsächliche Handlung stattfindet.

Optisch begeistert der Roman vor allem durch die klare Strukturierung der Zeichensetzung im Buch und Aufteilung der Kapitel. Das Cover des Buches hat einen etwas altmodischen Charme, der an die Ästhetik des Diogenes Verlags erinnert. Es vermittelt einen Hauch von Tradition und Klassik, was sicherlich einige Leser anspricht.

Besonders faszinierend wird man die Figur der Sophie finden, die mit ihrer emanzipierten Persönlichkeit und ihrem starken Charakter die eigentliche Hauptrolle des Buches zu sein scheint. Die Intention, den Biografien eine Rahmung durch politische Ereignisse zu geben, wird bei politikbegeisterten Menschen Anklang finden, sofern man dazu tendiert, seine Biografie an einschneidenden Erlebnissen festzumachen. Es zeigt auf jeden Fall die berufliche Schwerpunktsetzung des Autors, die sich viel mit politischen Konflikten im Text auseinandersetzt.

Information:  Johannes Wally. Was dazwischen kommt. Edition Keiper. 978-3-903575-10-3. 252 Seiten. 24 Euro.

[rezension] Tara C. Meister: Proben

Vielleicht ist die Tatsache, dass du so wenig besitzt, Ausdruck einer Bindungsangst, hatte Johanna einmal gesagt und Caro hatte geantwortet, dass dann im Umkehrschluss all das Zeug in Johannas Wohnung Zeichen einer gewaltigen Verlustangst wäre, und sie hatten beide nicht gelacht.

Vielleicht ist die Tatsache, dass Ängste das zentrale Thema dieses Buches sind, Ausdruck einer Generation, die noch nicht abschätzen kann, was auf sie zukommt: Caro, Biochemikerin und Johanna, Theaterregisseurin lieben einander sehr, Caro hängt an ihrer Freundin ein Stück mehr und ist froh, als diese mit einer beruflichen Absage von Berlin wieder zurückkehrt. Mit im Gepäck hat Johanna aber eine Schwangerschaft von einem One-Night-Stand. Sie beschließt, Mutter zu werden und Caro beschließt, der zweite Elternteil zu werden. Zwei beste Freundinnen, die dem heteronormativen Konzept der Elternschaft einen alternativen Entwurf entgegenbringen wollen.  Also zieht man zusammen; während Caro das „Nest“ feinsäuberlich vorbereiten will für den kleinen Dino, der da in Johanna heranwächst, schlägt sich diese die Nächte um die Ohren, hat lauten Sex, kommt tagelang nicht zuhause. Sie verarbeitet in ihrem letzten Theaterstück vor der Geburt all die grässlichen Erinnerungen, die sie an ihre psychisch kranke Mutter hat und legt damit ihre seelische Verfassung offen. Sie hält es nicht aus, dass sie für alle Menschen, insbesondere für Caro verschwindet und ihre Mutterschaft vor ihrer Individualität steht.

Johanna überlegte, ob eine Schwangerschaft so ähnlich war wie die Diagnose einer chronischen Krankheit. Ein Leben mit Einschränkungen.

 Caro muss sich bezüglich ihrer Familie auch einschränken, die Herkunftsfamilie, die Johanna als Paradies wähnt, kann Caro so nicht bestätigen. Sie schweigt lieber über ihre zukünftige Rolle des Co-Parentings als dass sie ihrer Familie in Kärnten ihre neuen Pläne erzählt. Caro befindet sich deswegen in einem inneren Konflikt, die starren Normen ihrer Familie nicht auf ihre zukünftige, kleine Familie zu übertragen, zeitgleich Johanna Stabilität vermitteln zu können. Nicht nur Johanna fühlt sich in ihrer beruflichen Entwicklung eingeschränkt, sondern auch Caro, die ein Arbeitsangebot im Ausland erhält; doch Tag X kommt…

Tara C. Meister „erprobt“ hier literarisch ein neues Konzept der Elternschaft: Reicht es, wenn zwei sich nahestehende Menschen beschließen, gemeinsam ein Kind großzuziehen? Kann man dem gesellschaftlichen Druck standhalten? Das Gedankenexperiment wird jedoch nicht in ganzer Größe verhandelt und legt seinen Schwerpunkt mehr auf Ängste und Konflikte: Welche Konflikte darf man austragen, weil sie zum gemeinsamen Leben gehören? Welche Ängste nimmt man sich aus der Vergangenheit mit? Wie sehr ist man selbst noch das Kind seiner Eltern? Wie sehr darf man hinter Elternschaft als individuelle Person verschwinden?

Besonders diese letzten Fragen zeigen, dass Elternschaft etwas Universelles ist, das nicht unbedingt an Beziehungskonzept gebunden ist. Es zeigt auch, dass viele Konflikte das tiefe Band einer Freundschaft nicht zerreißen. Man verheddert sich in den Gefühlswelten und wird von Meister gut wieder hinausbegleitet, man wünscht sich eine Fortsetzung. Man kann denken: Das Buch ist eine Generalprobe für das eigene Leben.

Angst bekommt man als Lesende maximal von der Überfliegerin Tara C. Meister; die mit ihren 27 Jahren bereits ein Medizinstudium abgeschlossen hat, nun literarischen Schreiben in Leipzig studiert und bereits mehrfach mit Literaturpreisen ausgezeichnet wurde. Proben ist ihr erster Roman und sicher nicht der letzte. Die Freude über die Geschichten einer Schriftstellerin, die in Kärnten ihre Wurzeln hat, ist jedenfalls sehr groß.

Information: Tara C. Meister: Proben. Residenz Verlag. 256 Seiten. ISBN: 9783701717842, 24 Euro

Ich danke der Autorin für das Rezensionsexemplar.

Nina Heller | Nachts sind alle Katzen. Softhorrorstories.

Britney Spears war einundzwanzig, als Sie I’m not a Girl, Not Yet a Woman gesungen hatte. Bis einundzwanzig muss man sich also noch nicht entschieden haben, aber wie lange durfte man sich danach noch in diesem Uncanny Valley aufhalten?

Nina Hellers Debüt erzählt von Frauen, alle neuzeitlich angesiedelt, erfolgreiche Frauen, mit tollen Jobs und interessantem Leben. Sie zeigen ihre Sicht auf die Welt: Dem Alltäglichen, beinahe Banalem, und dem Horror, dem man aus Frau in der Gegenwart ausgesetzt sein kann. Die Hölle sind demnach nicht die anderen wie Satre schrieb; vielmehr sind wir alle die Hölle füreinander und in jedem von uns schlummert das Potential, eine horrende Erscheinung zu sein. Heller zeigt spannende Frauenfreundschaften, die zwischen Konkurrenzdenken und Bewunderung bis zur imaginativen Tötungsabsicht führen. Sie zeigt toxische Beziehungen zwischen Partnerschaft und Familie.  Die Autorin zeigt junge Charaktere in ihren Zwanzigern bei der Suche nach sich selbst und das Erlernen von Schutzmechanismen. Das Perfekte der Welt ist demnach nur eine Wunschvorstellung.

Der Untertitel „Softhorrorstories“ führt Fans des Horror-Genres aber in die Irre. Das Debüt, dass sich auf 232 Seiten und 9 Kurzgeschichten erstreckt, enthält keine grusligen Gestalten oder Monster, sie zeigt: wenn es reale Monster gibt, dann sind das wir alle. Und Realität und Surrealität gehen Hand in Hand. Misogynie und die Folgen des Patriachats legen sich wie ein dünner Schleier auf alle Geschichten. Was das Buch allerdings auszeichnet, ist die scharfe Beobachtungsgabe Hellers in Bezug auf menschliches Verhalten:

Der Vaterfigur in meinem Leben hatte die Kunst des cholerischen Schweigens perfektioniert und war so verletzlich wie die weiche Stelle an einem Babykopf. Einmal nicht aufgepasst und schon konnte meine Mutterfigur voller Hingabe und Selbstaufopferung aufblühen.

Heller spielt mit den Unsicherheiten – das Gefühl, dass man den Füßen unter dem Boden verliert, dass etwas großes Bedrohliches passieren wird, dass man das Gefühl hat, dass eine unkontrollierte Welle an Ereignissen auf eine*n zu kommt und man alles nicht mehr schaffen wird – und doch passiert nichts.

Es erzählt die Geschichten einer Generation, die sich in Annehmlichkeiten in Sicherheit wiegt und schwer damit lebt, wenn Menschen nicht in ihren Lebensentwürfen integrierbar sind. Es sind Geschichten, die über die Wut von Frauen erzählt, die es nicht über das Herz bringen, die erlernten Verhaltensweisen, wie man zu sein hat, über Bord werfen.

„Nachts sind alle Katzen. Softhorrorstories.“ ruft vor allem Leser*innen auf den Plan, die bereits „Cat Person“ von Kristen Roupenian toll fanden, oder „Freie Stücke. Geschichten über Selbstbestimmung“ (HG: Sonja Eismann und Anna Mayrhauser) gelesen hatten. Nina Heller, die am Literaturinstitut Leipizig studiert hat und Herausgeberin des Magazins Hot Topic! ist, hat den Zeitgeist ihrer Generation eingefangen und in 9 mal schwächeren, mal stärkeren Geschichten verpackt. Alle zeigen jedoch das Radikale in den Menschen und manchmal darf man sich auch gruseln:

Ich stieg aus dem Bett, ignorierte den absackenden Kreislauf, schaltete die Lampe ein und suchte die Buchstaben auf dem Fenster, hauchte immer wieder gegen die Scheibe, bis meine Lunge schmerzte. YOUARENOTALONE.

Nina Heller | Nachts sind alle Katzen | Gans Verlag | 232 Seiten | 9783946392354| ca. 25 Euro

Danke an Birgit Böllinger und den Gans Verlag für das Rezensionsexemplar.

Raoul Eisele & Lea Menges | habe bewurzelte Stecklinge

Die Geografie einer inneren Sprache lässt sich von vielem herleiten: dem Ort, an dem man aufgewachsen ist, oder des Dialekts, in dem man groß geworden ist, es ist auch die Muttersprache, die sich geografisch verorten lässt, oder auch die eigenen Erlebnisse, die sich tief eingeprägt haben. Das alles formt Identität und diese lässt sich thematisch an vielen Gesichtspunkten beobachten und fordert heraus, die eigene Identität gleichsam zu verhandeln.

Die Herausgeber*innen Raoul Eisele und Lea Menges der Lyrik-Anthologie „habe bewurzelte stecklinge“ stellten sich zur Aufgabe, die innere Sprache von 36 Autor*innen einem Explorationsprozess zu unterziehen und in gedruckter Form auf 304 Seiten zu präsentieren. Dabei ist der Schreibprozess der FLINTA-Autor*innen offen im Buch dargelegt – als transparente Seite, die sich über jeden Beitrag legt. Am Ende dieses Beitrags befinden sich jeweils Fotos der Autor*innen, für die sich Lea Menges, eine der beiden Herausgeber*innen, verantwortlich zeigt.

Das Ziel dieser Anthologie ist, der Sprache beim Wachsen zuzusehen, so wie man es bei Pflanzen in der Natur beobachten kann. In 6 Kapitel gliedert sich das Austreiben dieser poetischen Pflanze, 5 – 7 Autor*innen beschreiben jeweils ein Stadium. Es bleibt leider unklar, wie der Entstehungsprozess der Anthologie als eigener Steckling gewesen ist. Man bleibt dabei im Dunkeln, wie die Beiträge zusammengesetzt wurden, sie rückt zugunsten des individuellen Schreibprozesses komplett in den Hintergrund. Jede *r Autor*in hat ihren eigenen Steckling, der zu einer einzigartigen Pflanze heranwächst. Am Schluss erblüht ein wunderschönes, lyrisches Gewächs, das Leser*innen dazu einlädt, immer wieder in diesem üppigen, aufwendig gestalteten Buch zu blättern, als wären die einzelnen Seiten buchstäblich Blätter, Auswüchse und zarte Blumen.

Die Stecklinge, die hier eingepflanzt werden, sind thematisch ein farbenfrohes Bouquet: Das Ich in der gegenwärtigen Phase, genauso wie das Ich in Zukunft, die Metamorphose dazwischen; es gilt die eigene Identität zu ergründen, eine eigene Heimat für sich und die Sprache zu finden, die eigene sprachliche Herkunft zu verhandeln:  Ukrainisch, Englisch, Arabisch, Französisch, Italienisch, Ladinisch, finden sich hier ein als Sprachsprenkel, die jeden Steckling einzigartig machen. Auch das Schweigen spielt thematisch eine große Rolle. Damit all diese Pflanzen wachsen können, nimmt das Wasser in vielen Beiträgen eine wichtige Position ein: Seen, wie etwa der Bodensee, unbekannte Flüsse, bekannte wie der Inn oder die Donau und auch das Meer bleiben hier nicht unerwähnt.

Die Autor*innen zeigen uns Orte, an denen sie oder ihre Stecklinge gepflanzt wurden: Städte, Dörfer, Lagerplätze, Lieblingsorte flechten sich in die Texte genauso ein wie Sicherheits- und Sehnsuchtsorte. Dabei werden die Autor*innen gerne selbst zu Stecklingen, um endlich wachsen zu können, als Leser*in bekommt man neue Gedanken verpflanzt, als sei man nicht nur Rezipient*in, sondern der gelungene Versuch einer symbiotischen Beziehung.  

„habe bewurzelte Stecklinge, Geografie meiner inneren Sprache“ schwächelt etwas an der Unleserlichkeit des Titels am Cover, jedoch niemals am Inhalt und noch viel weniger an der hochwertigen Verarbeitung, bei der man einen viel höheren Preis erwartet hätte. Hier regiert die Schönheit der Poesie und der Wunsch, diese stolz in seinem Regal stehen zu haben.

habe bewurzelte Stecklinge. Geografie meiner inneren Sprache | Raoul Eisele & Lea Menges (HG.) | edition lex liszt| 304 Seiten,  ISBN: 978-3-99016-250-7, 27 Euro

Mit Beiträgen von:  Mariia Arson, Anna Bauer, Hannah K. Bründl, Roberta Dapunt, Katharina J.Ferner,Verena Gotthardt, Sonja Harter, Clara Heinrich, Sandra Hubinger, Cornelia Hülmbauer, Katharina Klein, Clara Heinrich, Julia Knaß, Daniela Kocmut, Erika Kronabitter, Tara Meister, Astrid Nischkauer, Maë Schwinghammer, Asiyeh Panahi, Frieda Paris, Michèle Yves Pauty, Judith Nika Pfeifer, Rosa Pock, Valerie Prinz, Helene Proißl, Sarah Rinderer, Caca Savic, Nadia Rungger,Verena Stauffer, Sualah Tei, Susanne Toth, Liesl Ujvar, Seda Tunç, Jana Volkmann, Valerie Zichy. Mit einem Vorwort von Simone Schabert.

Ich danke Raoul und Lea recht herzlich für das Rezensionexemplar.

Ich danke Raoul und Lea recht herzlich für das Rezensionsexemplar.

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