Der Mensch muss aufhören, ein Mensch zu sein. Will der Mensch die Urnorm entdecken, muss er zur Urnorm werden. Wer die Urnorm kennt, begreift den Anfang des Universums.
Frustriert, beruflich unterfordert bestreitet der Rechtsanwalt Anatol Altmann, als Strafverteidiger sein Leben. Sein unausgesprochenes Talent: Pen & Paper – Rollenspiele, sein Guilty Pleasure das Spiel „das verrückte Labyrinth“.
Kurzum bekommt er die Möglichkeit, sein langweiliges Leben gegen ein aufregendes Leben in einer Fantasiewelt zu tauschen und seine Leidenschaften miteinander zu verbinden: Statt nur das Recht durchzusetzen, darf er am HGH, also am Höchsten Gerichtshof, volle Gerechtigkeit bewirken. Das HGH, das sich als magisches Tribunal entpuppt und in dem jegliche Rechtsauslegung möglich wird, verlangt von Altmann nur eines: sein irdisches Leben.
Der Strafverteidiger, der sich in einer heftigen Sinnkrise befindet, spielt nun um sein Leben: Doch was ist volle Gerechtigkeit? Kann man den Menschen an sich zu gutem Sein verdonnern? Kann das Recht für Gerechtigkeit sprechen? Ab wann tritt Gerechtigkeit für alle ein?
Altmann verhandelt dies nicht nur Spielzug für Spielzug am HGH, das die weltlichen Gesetze außer Kraft gesetzt hat, sondern auch in seinem Privatleben: In einem unmöglichen Liebesdreieck zwischen Hannes, Timea und Anatol sind die Würfel noch nicht komplett gefallen:
„Wieder schwebt das unmögliche Dreieck auf Altmann zu und er zurück durch das rotierende Tor, dorthin, von wo beziehungsweise von wann er gekommen war.“
Die Gerichtsakten verhandelt Anatol Altmann wie Pen und Paper Spiele. Mit Würfel, Stärken und Schwächen des Charakters, Eigenschaften wird in 10 Aktenstücken Gerechtigkeit in verschiedenen Situationen verhandelt. Der Würfel bleibt auch hier das Zufallselement. Wie viele Pen und Paper Spiele ist das Ende für den Lesenden nicht klar. Anatol Altmann wird zum Dungeon Master in seinen eigenen Dungeons, er wird Kämpfer, Zauberer, Paladin. Besonders D&D Freunde werden an der Spielstruktur des Buches sehr viel Freude beim Lesen haben. Die nächsten Spielzüge sind unklar, Altmann läuft 10 statt 20 Entwicklungsstufen durch.
Mit juristischem Feingefühl nähert sich Markus Grundtner immer näher dem Begriff der Gerechtigkeit. Er begibt sich tief in die indische Philosophie hinein und entwirft als weiteren Protagonistin Nyaya, eine personifizierte Regel. Das Nyaya wird für gewöhnlich als Diskussionswissenschaft angesehen und so kommt es, dass Altmann sehr häufig mit Nyaya debattiert. E.T.A. Hoffmann diskutiert ebenso munter mit Altmann über zweihundert Seiten über Gerechtigkeit, ist er doch nicht nur für seine literarische Arbeit bekannt, sondern auch als Jurist tätig gewesen.
Die unsichtbare Brücke schlägt Grundtner von E.T.A Hoffmann zu Neil Gaiman, die Geschichte liest sich ab und an wie eine dunkle Sandman-Welt, lässt auch aufgrund seiner humorvollen Ausgestaltung eine Ähnlichkeit zu Douglas Adams Dirk Gently’s Holistic Detective Agency zu. Altmann unternimmt Zeitreisen in seine eigene Vergangenheit und wagt Blicke in eine Vielzahl an möglichen Zukunftsszenarien:
Altmann wischt sich über sein Gesicht, auf seinen Fingerkuppen klebte mitternachtsblaue Tinte. Immer mehr fiel herab, füllt das Grab auf. Der Tintenspiegel stieg an, bis Altmann Tinte an seinen Lippen spürte, sie aus seinem Mund prustete und sie bald gar in der Nase hatte. Als er nicht mehr atmen konnte, zogen sich die Momente ins Endlose hin, bis plötzlich der Stein hinter ihm nachgab und Altmann, als würde er durch den Kanal hinweggespült, zurück an seinem Platz im Großen Sitzungssaal landete.
Rettungswürfe braucht Grundtner für dieses Buch keine. Er gewinnt Lesende allein mit der spannenden Thematik dieses Buches und vielleicht darfs auch danach gern eine Runde D&D sein.
[Information] Markus Grundtner: Der Fall der Fantasie. Keiper Verlag. 260 Seiten. ISBN: 978-3-903575-22-6. 25 Euro.
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