Autor: katkaesk (Seite 9 von 21)

[Rezension]: Renate Silberer – Hotel Weitblick

„Ich atme durch, stehe auf und gehe zum Fenster, öffne einen Flügel, strecke den Kopf hinaus ins Freie. Mein Blick wandert Richtung Himmel, ein Flugzeug, ein zweites, ich drehe den Kopf, wieder Flugzeuge. Der Himmel ist voll von ihnen. Eins, zwei, drei, weiterzählen macht keine Laune, ich frage mich, wie es wäre, wenn sie alle für einen Tag am Boden blieben.“

Diese Frage stellen sich Lesende nicht nur in Bezug auf Flugzeuge, sondern eben- falls bei den Protagonist*innen, die nach und nach im Hotel Weitblick erscheinen: Vier Führungskräfte einer Werbeagentur namens Annette Stumpner, Franz Seidlinger, Helmut Kriegler und Horst Wienacher. Sie bestreiten ein Wochenende lang ein Assessmentseminar bei Dr. Marius Tankwart mit dem Ziel, noch ein Stück weiter die Karriereleiter zu besteigen. Von Selbstzweifeln geplagt, treibt der Consulter Tankwart die vier Teilnehmer*innen langsam in den Wahnsinn mit seinen berühmten Metho- den. Ein Kampf zwischen den künftigen Leadern bricht aus und eine friedliche Lösung kommt dementsprechend nicht mehr in Frage. Marius Tankwart muss Entscheidungen treffen, von denen sein Überleben abhängt, da sich der Druck der Teil- nehmenden nicht nur von außen mit Beziehungen und Statussymbolen niederschlägt, sondern vor allem von innen kommt. Im Verhalten der vier Angestellten der Werbeagentur wird schnell deutlich, wie sehr sie die Erziehungsmethoden der „Nazi- Pädagogin“ Johanna Haarer verinnerlicht haben.

Man wird in eine unbekannte Welt gezogen, sieht den Endvierzigern bis Mittfünfzigern beim Scheitern zu. Die Sichtweise von Annette wird viel häufiger eingenommen und trotzdem wird sie von jenen nicht als potenzielle Führungskraft oder Gefahr wahrgenommen. Ein schmerzender und altbekannter Blick, den man in Gestalt einer Leser*in lieber zu vermeiden gewusst hätte, im Besonderen, wenn man dieser Generation nicht angehört. Technisch besticht der Roman aber durch eine beachtliche Klarheit, obwohl der Text zwischen fünf Ich-Perspektiven und Erzählperspektiven wechselt. Zusätzlich fungiert ein kleiner, schwarzer Hirsch als optische Zäsur.

Hotel Weitblick liest sich als Tragödie sogenannter Leistungsträger*innen der Gesell- schaft. Es wird schnell klar, warum die gelernte Pädagogin Silberer dieses Buch geschrieben hat: Es ist ein Hinterfragen der selbsterfahrenen Erziehung und der damit verbundenen Werte. Beim Lesen stellen sich die Fragen: Will man so sein? Ein*e Leistungsträger*in, der/die auf völlige Transparenz pocht und über Leichen geht? Braucht man Vertrauen oder ist Kontrolle weitaus effizienter? Fremdscham und das Gefühl peinlich berührt zu sein, ist in diesem Buch allgegenwärtig. Schnell kommt man bei dem unpädagogisch erzählten Roman zu dem Schluss: Selbstoptimierung und Erfolg in Kombination ist gefährlich. Eine schmerzhafte Erkenntnis in einer leistungsorientierten Gesellschaft.

[Informationen]

Renate Silberer. Hotel Weitblick. Wien: Kremayr-Scheriau. 240 Seiten. E-Book 14,99 €, Hardcover 20 €

Nähere Informationen: Kremayr-Scheriau.

[Rezension] Dieses makellose Blau.

„Nach fünf, sechs Stößen wurden ihre Gedanken leerer. Die Worte flossen aus ihr heraus, wurden zerhackt von dem Auf und Ab. Hier und da zuckten Bilder durch ihren Kopf. Eine zerbrochene Tasse, Scherben. Der Briefkasten voller Post.“

Die 11 Kurzgeschichten in Sarah Raichs Dieses makellose Blau blicken in verschiedene Leben und Umgebungen. Eine Frau sucht ihre Katze in der Nachbarschaft und entdeckt das katzenartige Leben einer Frau in einer Garage, Mütter ergeben sich nicht ihrem Schicksal und Männer, die Autos brauchen, um mit ihrer Wut klarzukommen.

Die Autorin stellt Frauen in diesen elf Geschichten in den Mittelpunkt, jede anders und einzigartig. Während an einer Stelle ein rührendes Begräbnis für eine Kröte gehalten werden will, erlebt man in Gin Tonic Liebeskummer nach einer Trennung schmerzlich mit, man leidet förmlich mit:

Wenn sie wusste, warum etwas wehtat, ließ es sich aushalten. Es ließ sich packen und ordnen. Nur alles andere. Wohin nur mit all dem anderen.

Sarah Raich erzählt in sehr genau gebauten Kurzgeschichten von Lebenswelten, in denen nichts perfekt und herrlich ist. Sie erlaubt mit den Augen der Protagonistinnen in Momente einzutauchen und stellt zum Schluss mit Erstaunen fest, dass man komplett Teil des Textes geworden ist, so wie bei der Kurzerzählung der Fund:

„Das obere Ende des Stocks war seltsam rund und glatt. Sie zog ihn hervor und betrachtete ihn. Die Farbe war seltsam, bräunlich und nicht elfenbeinfarben, wie sie es sich vorgestellt hatte. Aber sonst bestand kein Zweifel. Marie hatte recht gehabt. Sie hielt einen Knochen in der Hand.“

Die Skurrilitäten des Alltags bringt uns die Autorin an einer simplen Hand, die an die Mutter erinnert, genauso nahe wie der Wunsch des Menschen fliegen zu können oder ein Tier zu sein. Dieses makellose Blau ist ein Kurzgeschichten-Band, der auch Leser*innen von Romanen begeistern kann. Geschichte für Geschichte wird man in eine Situation gekippt, ohne am Ende komplett darin zu versinken. Sarah Raich schafft eine einwandfreie Balance zwischen dem Empfangen und Verabschieden der Lesenden innerhalb jedes einzelnen Textes.

Dieses Buch ist eines, das wirken muss. Die Geschichten kostet man am besten happenweise wie ein Stück dunkle Bitter-Schokolade, das langsam auf der Zunge schmilzt. Sarah Raichs Prosadebüt ist nämlich genau das: Oft ein tiefer Einblick in die bittersüße Gedankenwelt von Frauen, manchmal ein Schlag in die Magengrube, alle schräg und so bildhaft, dass sie lange im Kopf nachtönen.

[Informationen]

Sarah Raich (2021): Dieses makellose Blau. Berlin: mikrotext. 117 Seiten. E-Book 7,99 €, Taschenbuch 14,99 €.

Hier bestellbar: mikrotext.de

[Rezension] Reigen reloaded.

Begegnung inspiriert, bringt neue Ideen so wie eine gegenwärtige Neuauflage des Reigens, der dramatisch und anregend sich der Fragestellung widmet, wie fragwürdig Monogamie in der Literatur und im echten Leben sei.

Zuweilen nah am Originaltext und doch einer Transformation für die Gegenwart unterzogen worden, zeigt sich Reigen Reloaded als zehnstimmiges, sprachliches Ereignis, das mit jeder Weiterführung Überraschungen parat hält.

Die größte Unvorhersehbarkeit ist gleich zu Beginn in Gertraud Klemms Ausschnitt Leonie und Josh zu finden, die sich in Form gezielt an Schnitzlers Reigen hält und den Bogen zur intimen Performance in neuen Medien kreativ spannt. Sie wirft ebenso die Frage der sexuellen Erpressbarkeit auf und konfrontiert Lesende mit dem Thema der Legalität von Liebesbeziehungen. Gustav Ernst nähert sich künstlerisch dem Indien, das auch bei Schnitzer Thema ist und zeigt die soziale Durchlässigkeit seiner handelnden Personen, eine Neuadaption gesellschaftlicher Verhältnisse, die bei Arthur Schnitzlers Reigen vor 120 Jahren noch nicht so gegeben waren. Bettina Balàka, Daniel Wisser, Michael Stavarič, Thomas Stangl treffen den Lokalkolorit und den Wiener Humor haarscharf und erzeugen eine heimelige, wienerische Atmosphäre im Buch.

Die Autor*innen geben ihren Personen und Namen und doch nicht, sie sind beliebig zu lesen. Mögen sie im Original Robert, Emma, Alfred, Franz oder Marie heißen, so sind es hier Mia, Benedikt, Anna oder die Funktionsbezeichnung Magister. Angela Lehner nennt ihre weiblich gelesene Figur Baby und nähert sich der Person so, dass sie zur Ich-Erzählerin wird, und übernimmt die Sicht des wirtschaftsaffinen Herbert. Ein faszinierender Blick, der sich vor Klischees nicht fürchtet und doch nach den Grenzen von einvernehmlichem und gezwungenem Sex sucht. Auch die Herausgeberin Barbara Rieger schlüpft in das Ich der Geschichte und gibt sich ganz der Rolle der Schauspielerin hin. Die Balance zwischen der Neuinterpretation der Originalhandlung, Auflösung der Namen in ein bloßes ich und Du, als auch die Anlehnung der im Ursprungstext zu findenden Reptilien- und Insektenmetaphern ist hier grandios gelungen. Martin Peichl weiß ebenso um die Bedeutsamkeit von Tiermetaphern und ergänzt die Raben, die als Hommage an den rabenschwarzen Humor Arthur Schnitzlers zu lesen sind. In diesem Text lässt sich die vorangegangene, eingängige Beschäftigung mit dem Original nachweisen, der Dichter, der leise ein „Sonne, Bad, Dämmerung, Mantel“ in den Raum wirft, wie in der Umarbeitung ein „Du trägst das Licht wie einen Bademantel“ zu finden ist. Das literarische Ringelspiel endet mit Petra Ganglbauers monologischen Gewürznoten, die den Lesenden vereinnahmend die Nöte des alten Herren gewahr werden lassen.

Interessant erscheint die Fragestellung, warum das Buch an heteronormativen Liebesbeziehungen festhält, und nicht den Weg hin zu einer sexuellen Diversität wählt. Abgesehen davon gelingt es aber Barbara Rieger sehr gut, die 10 Autor*innen sprachlich stimmig zu vereinen und einen neuen Kodex der Intimität in die literarische Gegenwart zu holen. Besonders hervorzuheben ist die gelungene graphische Gestaltung in Jugendstil-ähnlicher Art und Weise durch Sheila Ehm, die das Zeichen der Viertelpause in einen neuen Kontext setzt. Reigen Reloaded ist eine Annäherung an Arthur Schnitzler, ohne dass es Anspruch an Aneignung stellt.


Originalbeitrag
Für die Rezension ist die Verfasserin verantwortlich; Rezensionsexemplar freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt

Anthologie txt

Im Rahmen einer Kooperation mit dem mischen entstand 2020 eine Anthologie mit dem gleichen Namen. Projekt*txt entstand 2015, Schreibbegeisterte im deutschsprachigen Raum Möglichkeiten zum Schreiben aufzuzeigen. In dieser Zeit entstanden knapp 1200 Texte, 72 Texte befinden sich nun in dem Buch: 24 schöne Worte, jeweils drei Texte von den jeweiligen Autor*innen, ein Abbild von fünf Jahren Schreibprojekt.

Hier gibts einige Einblicke:

Das Buch kann in allen gängigen Buchläden bestellt werden. Hier dazu einige Informationen:

Titel:Anthologie Projekt*txt
HrsgKatharina Peham
Papiertyp90 g/m² weiß, matt, Softcover
Inhaltsdruckschwarz/weiß
Seiten168
ISBN9783752978957
Preis:14, 99 €

Weitere Informationen bzw. die Bestellung sind unter diesem Link erhältlich bzw. möglich:

ANTHOLOGIE PROJEKT*TXT

Lachen & Schmerzen, Meer

Es sind Tage wie diese, die einen Sehnsucht nach Meer & Sonne, Urlaub und großer Liebschaften verspüren lassen. Lachen&Schmerzen, Meer weiß davon. Es ist eine Reise in ein anderes Land und erzählt von einer Nähe in der Ferne. Corona-Literatur, aber ganz anders eben. Für meinen Verlag Literaturedition NÖ habe ich eine Kurzgeschichte schreiben dürfen – die nun als Youtube-Lesung auf ihrem Kulturkanal zu finden ist: Zu der Geschichte gibt es auch ein E-Book. Wer das Buch lieber lesen möchte, bzw. mitlesen möchte, dem sei hier dieser Download zu empfehlen: Viel Spaß mit der Reise ans warme Sommermeer.

Zusätzlich zum Youtube Video gibt es E-Book – frei Haus, zum Download, wenn man die Geschichte lieber lesen möchte:

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