Autor: katkaesk (Seite 8 von 21)

[rezension] Martin Peichl | Matthias Ledwinka – Gespenster zählen

Wie zählt man Gespenster, willst du wissen, ganz normal, sage ich, man fängt bei eins an, dann zwei und so weiter. Wie immer, wenn du meine Wohnung verlässt, nimmst du die Treppen, dem Lift traust du nicht, schon gar keine fünf Stockwerke lang.

Gespenster, das sind: gesammelte Fragmente verlorener Menschen, Glaubenssätze, Songtexte, Gedichtzeilen, Erinnerungen, entledigte Hoffnungen, verdrängte, aber nie vergessene Lieben: Immer die Frage, ob das ein Geist ist oder ob man ihn eventuell trinken kann.

Geist heißt hier eine präsente Anwesenheit der Abwesenheit, eine Fülle an Erinnerungen, an gedachte Zweisamkeiten in einer allgegenwärtigen Einsamkeit. Die Fotos sind stiller Begleiter dieser Alleinsamkeit: In blassen Farben gehalten stechen die grellen Thematiken dieses Buches hervor: ein Kennenlernen menschenloser, verlassener Orte. Überall sind leere Fahrzeuge, Geschäfte, Häuser, Züge, Straßen, Seen. Kurzum eine Sammlung von lost places, die ihre Trennung von Menschen und ihre Isolation stolz vor sich hertragen, genauso um ihre Vergessenheit und ihr Verschwinden zu dokumentieren; eine persönliche Ausstellung für zu Hause.

Es zollt selbstverständlich Tribut an die unlängst verstorbene Schriftstellerin Elfriede Mayröcker, die mit ihrem Buch „brütt oder die seufzenden Gärten“ oder mit „Paloma“ Eingang findet – eine literarische Ausnahmekünstlerin, der im ungleichen Ausmaß mehr Anklang bei deutschsprachigen, männlichen Schriftstellern findet als sonst eine Schriftstellerin. Umso erfreulicher, dass nun auch Spuren von Ingeborg Bachmann, Elfriede Gerstl oder Marlen Haushofer zu finden sind.

Während das ungewöhnliche Format auffallend und eindrucksvoll adrett und geordnet daherkommt, wird eine innere Ordnung nicht manifest, einige Bilder aus dem zweiten Buch „In einer komplizierten Beziehung mit Österreich“, finden hier erneut Eingang, und lesen sich wie eine Vorahnung auf „Gespenster zählen„:

Wir bleiben zurück als Gespenster als Scherenschnitt

In einer komplizierten Beziehung mit Österreich

Wenn man Peichls Namen im Katalog der Wiener Büchereien sucht, findet man zwangsläufig auf der ersten Seite das Handbuch der Psychotraumatologie; „Gespenster zählen“ ist zwingend traumatisch poetisch: es geht ums Anschauungen abfragen in künstlerisch literarischer Pose, es wird mehr gezeigt als gewollt als im Debütroman „Wie man Dinge repariert“. Es ist zeitgleich ein Stück Dorfliteratur genauso wie Erinnerungen an eine Stadt, die es in dieser Form nicht mehr gibt.

Das Buch, das diesmal auf Seitenzahlen verzichtet und Ordnung mit einer Bild und nummerierten Textabfolge herstellt, gestaltet sich mit weniger Leserausch als die letzten beiden Bücher, mehr als dokumentarisches Bereuen: Seelen bröckeln und vergeistern, auch eigenen Gedanken sind Gespenster und spuken im Kopf herum. Spürbar wird eine radikale Wehmut, die Liebe häufig mit Schmerz verbindet, und ein melancholischer Unterton, der die Roadtrips durch die Vergangenheit begleitet.

[Information]

Martin Peichl & Matthias Ledwinka: Gespenster zählen. Kremayr & Scheriau. 160 Seiten. durchgängig vierfärbig. ISBN978-3-218-01282-9. 22 Euro.

[rezension] Cartoons über Katzen

Im Buch „Cartoons über Katzen“ forschen berühmte Cartoonisten wie Ari Plikat, Michael Dufek, Tex Rubinowitz oder Dorthe Landschulz nach dem Alltag mit den wohl flauschigsten Mitbewohnern des Menschen.

Viele Cartoons in diesem Buch sind aus dem Leben gegriffen. Wer kennt es nicht, Katzen, die sich den Menschen als Futtersklaven Untertan machen oder sogar den Schlafplatz rauben. Zeichner für Zeichner reihen sich aneinander, in ihren unterschiedlichen Stilen und immer aufs kleine Detail achtend: Bettina Bexte, die die Dominanz von Katzen im privaten Bereich so sehr auf die Spitze treibt, dass menschliche Gäste unerwünscht sind.

Auch astreiner Kalauer hat in diesem Buch Platz. Wenn Katzen reden könnten und nach ihrem Wohnort gefragt werden würden, dann wäre die Antwort häufig „Miezhaus“, so wie es Heike Drewelow pointiert. Auch Lisa Semrad zeichnet die Klischees feinsäuberlich auf Papier, in bitterböser Manier, wenn sich Katzen neun Stricke aufhängen, um ja Suizid begehen zu können.

Dieses Buch enthält offenkundigen Humor, genauso wie schwarzen. Die Herausgeber Clemens Ettenauer und Johanna Bergmayr haben mit diesem Buch ein Sammelsurium geschaffen, das Fragen beantworte, die man sich so noch eigentlich gar nicht gestellt hat: Ob Katzen dem Alkohol zugeneigt wären, könnten Sie diesen trinken, Burnout haben können oder eine Affinität zu der Sendung mit der Maus haben.

Haptisch liegt das Buch gut in der Hand, wobei ein kleineres, handliches Format den Comics dienlicher gewesen wäre. Die gute Farbgebung im Druck der einzelnen Comics ist gut gelungen, genauso wie die Covergestaltung von Ursula Kothgasser & Lena Kothgasser-Haider:

Wer hungrige Katzen noch bewundern möchte, dem sei die dazugehörige Ausstellung im Wiener Museumsquartier zu empfehlen. Vom 11. August bis 30. Oktober kann man von Dienstag bis Sonntag, jeweils ab 11 Uhr bis 16 Uhr kostenlos die Ausstellung in der Galerie der komischen Künste besuchen.

Das Buch kann auf der Homepage des Verlages, der Seite der Komischen Künste erworben werden, genauso wie im Buchhandel. Ein ideales Geschenk für Katzenverehrer*innen und alle die es noch werden wollen. Spätestens nach der Lektüre kann man nicht anders, als die miauenden Vierbeiner zu lieben.

Information zur Ausstellung:

Dauer der Ausstellung: 11.August – 30. August 2021

Öffnungszeiten: 11.00 – 16.00 (dienstags – sonntags)

Ort: Galerie der Komischen Künste, Museumsplatz 1, 1070 Wien

Information zum Buch:

Clemens Ettenauer & Johanna Bergmayr (Hg.): Cartoons über Katzen, Holzbaumverlag, Hardcover, 96 Seiten, ISBN: 9783902980151, etwa 20 Euro.


Ich danke Clemens Ettenauer für die Bereitsstellung des Rezensionsexemplares.

[rezension] Kliteratur – Literatur über Regen, falsche Priester und Essig #6

Wer hat hier das Sagen? Oder was haben ein Strohmann und ein roter Hering mit der Debatte um die Meinungsfreiheit zu tun?

Eine öffentliche Debatte über Meinungsfreiheit, ein Dossier über Diskursverschiebung, die Frage, ob Schwarze Autor*innen nur von schwarzen Übersetzer*innen übersetzt werden dürfen, ist das eine, dem sich das Team rund um die Zeitschrift Kliteratur widmet. Das andere ist Literatur, die sich dem menschlichen Innenleben, der Alleinsamkeit im Zweisamen, der Ehrlichkeit familiärer Einsichten annimmt und schlussendlich Ordnung schafft, den diese Zeitschrift will viel, aber eines nicht: Chaos in den Köpfen.

Fein durchstrukturiert, säuberlich ausgewählt schichtet sich hier Essay auf Gedicht, Kurzgeschichte auf Kontextualisierung und Verortung. Das Heft ist eine Kunstausstellung, die man gerne durchwandert, ein paar Comics, wundervolle Illustrationen von Lina Ehrentraut und das schöne Layout begleiten nicht nur die Texte, sondern sind als eigenständige Kunst durchaus wahrzunehmen:

Die Herausgeber Philipp-Bo Franke & Jonas Linnebank verbinden gekonnt Ernst mit Spaß, eine gute und wichtige Einordnung findet sich vor allem im Text über die Strohmann – Argumente rund um die Übersetzung von Amanda Gorman, indem das Problem prägnant um die Suche nach der korrekten Verortung zu finden ist und den Verlag in die Verantwortung zu nehmen versucht, die häufig nach ökonomischen Gesichtspunkten eine Auswahl trifft. Die Wichtigkeit von Ökonomietransparenz zeigt sich ebenso in der Berichterstattung rund um die Finanzen der eigenen Zeitschrift. Ein mutiger und wichtiger Schritt, damit die Zahlen in der Kulturarbeit nicht immer nach unten korrigiert werden, egal, ob es nun Produkt oder Arbeit der Kunstschaffenden sei, die es zu wertschätzen gilt.

Besondere literarische Schätze werden hier ausgehoben, wie das Gedicht „nichts würde ich drum geben“ von Verena Schestak, die Unverhüllten Enthüllungen von Martina Lenz, lustig und scharfsinnig zugleich oder krass neue Schreibweisen, wie jene von Sönke Niebuhrs „Toxic Toys“:

Prägung/with a taste of a poison paradise/I’m addicted to you/Don’t you know you are toxic“/Mein Stock ist ein Feenzauberstab, mein Stock ist eine Pumpgun.

Wie sehr sich Kunst und Literatur verbinden lassen können, zeigt die Künstlerin Hatice Acikgoez, die mit dem Cut-Up Verfahren eine bissig böse Persiflage rund um das Thema Bewerbung auf das Papier knallt.

Kliteratur ist eine Zeitschrift, die sich aus Kunst und Literatur zusammensetzt, Gesellschaft und Gegenwart diskutiert und analysiert, sowie Fragen zu stellen, deren Antwort nicht einfach ist. Zweimal jährlich erscheint sie, mit dem Ziel Geschichten, Comics, Dialoge, Briefe, Shorties, Gedichte zu zeigen, prinzipiell alles, wo Text drauf steht und Inhalt drin steht.

Die Zeitschrift kann bei den Buchhändler*innen eures Vertrauens bestellt werden, oder online auf der Website der Kliteratur bzw. bei liberladen. Nähere Informationen zum Heft finden sich ebenso auf der Website.


Danke an Anna-Pia von der Redaktion für das Rezensionsexemplar <3

[Rezension]: Mama – Jessica Lind

In manchen Nächten hört Amira ein Heulen. Dann ist es, als würde ihr das Herz aus der Brust springen. Aber die Hündin zeigt sich nicht. Sie weiß, was sie tun wird, wenn sie ihr begegnet. Deswegen nimmt sie das Gewehr mit, wohin sie auch geht. Sie kann sich erst sicher fühlen, wenn die Hündin tot ist.

Mama – Jessica Lind / S. 160

Jessica Lind hat mit Mama ein Buch in österreichischer Tradition geschrieben: Idylle gepaart mit dunklen Wäldern, die Idee einer traditionellen Kleinfamilie mit einem gewaltigen Riss versehen. Es ist eine österreichische Geschichte, die beginnt, wie alle guten Geschichten beginnen: Amira und Josef wollen ein Kind, genauer gesagt, Amira will ein Baby, Josef verneint nicht. Seine Angst, dass er wie sein Vater wird, lähmt ihn. Sie beschließen, einmal noch ohne Kind dort hinzufahren, wo Josef seinen Vater das letzte Mal gesehen hat: Ein Haus mitten im Wald, ohne Handyempfang, ein natürlicher Irrgarten zwischen hohen Bäumen. Amira hasst diese Umgebung, begegnet sie doch immer wieder einem Wanderer, der ihr nicht geheuer ist und eine gewaltbereite, rachsüchtige Hündin.

Als Amira endlich schwanger ist und schließlich auch ein Mädchen namens Luise bekommt, nähern sie sich erneut dem gruseligen Zuhause, das eigentlich keines ist. Die Angst der Familie um das Mädchen frisst sie innerlich auf, und Amira verliert sich in Traum und Wahn. Man weiß nicht, ob das, was Amira erlebt, noch passieren wird, in der Vergangenheit liegt oder ein Hirngespinst ist.

Die Protagonist*innen im Buch erscheinen zunächst klischeehaft, erweisen sich aber im Laufe des Buches alles andere das: Amira wird zur Kämpferin, Josef wird weich und nahbar. Zunächst als undurchdringliche Wand der Konvention zeigt das Buch schnell seine dunkle, bedrohliche Seite. Lind bestimmt die Nähe und Distanz zu den Dingen und Pflanzen, einen vermeintlichen Neuanfang, Todesangst genauso wie Verzweiflung. Der Wald und der Hund als Begleitthema erinnert an Marlen Haushofers „Wand“. Ein Blick genügt, man erkennt die starke namenlose Frauenfigur unter der Glasglocke, die von Luise verlassen wird. Die Zusammenarbeit mit Jessica Hausner lässt sich nicht leugnen, man erkennt in dem Buch Hausners Film „Hotel“ und kann auch diesbezüglich Parallelen erkennen.

Optisch und haptisch präsentieren sich die Bücher in bester kremayrscher Manier, Ekke Wolf hat ein großartiges Design vorgelegt, das einen immer gerne zu Büchern von Kremayr & Scheriau greifen lässt:

Sprachlich überzeugt das Buch auf allen Ebenen. Gelungene Dialoge, die den Text als Grundlage für ein Drehbuch erkennen lassen und bedrohliche Bilder entstehen lässt. Es ist definitiv ein Buch, das als Film funktionieren würde. Das Buch lässt böse Vorahnungen zu, kippt zwischen den Szenen so schnell, dass man sich als Leser*in verfolgt und verängstigt fühlt. Schnell lesende Personen werden in Versuchung geführt, ebenjene Szenen nochmals aufgrund der fehlenden optischen Begrenzung zu lesen. Es wäre auch als optisches Stilmittel zur Verdichtung des Romanes zu verstehen. Jessica Lind legt jedenfalls mit ihrem Debüt ein Buch vor, dass als mit Horror und Panik nicht geizt.

[Informationen]

Jessica Lind (2021): Mama. Kremayr & Scheriau. 192 Seiten. 20 €. ISBN: 978-3-218-01280-5

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