Luzia duckte sich unter einer Ohrfeige hinweg und rannte so schnell sie konnte die Stiege hinauf. Zwar hörte sie dabei Schritte hinter sich donnern, als sie aber im dritten Stock angelangt war und ihren Kopf zwischen die Geländestreben streckte, erblickte sie ihre Verfolgerin auf dem Podest zum ersten Stock. Diese stütze sich an der Wandtapete ab und keuchte dabei so laut, dass sie Luzia nicht einmal mehr hinterher fluchen konnte.

Luzia, ein achtjähriges Pflegemädchen, wächst in der Zwischenkriegszeit beinahe mutterlos in der Wiener Troststraße auf. Sie erlebt die Armut hautnah mit und hat ein sehr distanziertes Verhältnis zu ihrer Pflegemutter Frau Tóth. Sie geht der garstigen Hausmeisterin und ihren Kindern aus dem Weg, versucht beinahe unsichtbar zu sein. Wenige schöne Momente erlebt Luzia mit dem Kater Sultan und ihrem Onkel Leo und dem Untermieter ihrer Pflegemutter, Liszt. Dieser nimmt Luzia häufig ins Gasthaus mit, wo dieser auf der Seite der Schutzbündler steht und alles andere als glücklich mit den Umständen von Schattendorf ist. Luzia bekommt die politischen Umstände hautnah mit, und doch bleibt ihr nur eine Frage dauerhaft im Kopf: Wer ist ihre Mutter?

Als sie ihre Mutter das erste Mal sieht, ist sie enttäuscht, und wütend, dass sie wegegeben wurde. Luzia kann sich der Enttäuschung nicht entziehen, wird sie doch wieder von ihrer Mutter in der Obhut von Frau Tóth zurückgelassen. Bedauerlicherweise lüftet Luzia das Geheimnis ihrer Pflegemutter und gibt somit der bedrohlichen Hausmeisterin endlich eine die Gelegenheit, Frau Tòth loszuwerden:

Frau Tóth blickte zu Luzia herüber. Keine Regung in ihrem Gesicht, doch die Augen – Luzia zuckte zurück. Wo sonst Eis funkelte, loderte es nun.

Luzia muss ihre Pflegemutter verlassen und da auch ihre Mutter sie nicht will, in die Bucklige Welt zu einem Bauern geschickt. Luzia bekommt von den politischen Ereignissen in Wien nichts mit und fühlte sich fremd auf dem Land, und vermisst nun nicht nur mehr ihre Mutter, sondern auch die Stadt und ihr altes Leben…

Stögerer hat mit diesem kurzen Roman ein Andenken an seine Urgroßmutter geschaffen. Die Authentizität liegt vor allem in der kargen Sprache, die sie sich der Armut und Ausweglosigkeit der 1920iger Jahre anschmiegt und besonders vorsichtig den Handlungen dieser Zeit nähert. Vieles kratzt die politischen Ereignisse an der Oberfläche an, so wie Kinder und Jugendliche dies wohl mitbekommen. Der Autor eröffnet einen Raum für große Kontextualisierungen, erzählt im kleinen Leben der Luzia, das große in der politischen Landschaft dieser Zeit. Die Erzählung wurde gut recherchiert, von den kredenzten Speisen bis hin zu den Zeitablaufen in Wien.

Besonders zu erwähnen ist, dass dies nicht nur die Geschichte eines Kindes in den 1920igern ist, sondern ein Roman über verhinderte Lebensentwürfe von Frauen. Stögerer gelingt es, Frauen Geschichte zu geben, ihre Lebensumstände abseits ihres Fehlens in Geschichtsbüchern zu beschreiben.

Vielleicht ist aber die wichtigste Frage in diesem Roman: Was ist Heimat? Und was passiert mit Menschen, die nie eine finden dürfen? Stögerers Heimat wird hoffentlich bald auch in der heimischen Literaturszene sein. Der Roman verspricht jedenfalls sehr viel in seinen vierzehn Kapitel.