Schlagwort: Buchblogger

  • Nina Heller | Nachts sind alle Katzen. Softhorrorstories.

    Nina Heller | Nachts sind alle Katzen. Softhorrorstories.

    Britney Spears war einundzwanzig, als Sie I’m not a Girl, Not Yet a Woman gesungen hatte. Bis einundzwanzig muss man sich also noch nicht entschieden haben, aber wie lange durfte man sich danach noch in diesem Uncanny Valley aufhalten?

    Nina Hellers Debüt erzählt von Frauen, alle neuzeitlich angesiedelt, erfolgreiche Frauen, mit tollen Jobs und interessantem Leben. Sie zeigen ihre Sicht auf die Welt: Dem Alltäglichen, beinahe Banalem, und dem Horror, dem man aus Frau in der Gegenwart ausgesetzt sein kann. Die Hölle sind demnach nicht die anderen wie Satre schrieb; vielmehr sind wir alle die Hölle füreinander und in jedem von uns schlummert das Potential, eine horrende Erscheinung zu sein. Heller zeigt spannende Frauenfreundschaften, die zwischen Konkurrenzdenken und Bewunderung bis zur imaginativen Tötungsabsicht führen. Sie zeigt toxische Beziehungen zwischen Partnerschaft und Familie.  Die Autorin zeigt junge Charaktere in ihren Zwanzigern bei der Suche nach sich selbst und das Erlernen von Schutzmechanismen. Das Perfekte der Welt ist demnach nur eine Wunschvorstellung.

    Der Untertitel „Softhorrorstories“ führt Fans des Horror-Genres aber in die Irre. Das Debüt, dass sich auf 232 Seiten und 9 Kurzgeschichten erstreckt, enthält keine grusligen Gestalten oder Monster, sie zeigt: wenn es reale Monster gibt, dann sind das wir alle. Und Realität und Surrealität gehen Hand in Hand. Misogynie und die Folgen des Patriachats legen sich wie ein dünner Schleier auf alle Geschichten. Was das Buch allerdings auszeichnet, ist die scharfe Beobachtungsgabe Hellers in Bezug auf menschliches Verhalten:

    Der Vaterfigur in meinem Leben hatte die Kunst des cholerischen Schweigens perfektioniert und war so verletzlich wie die weiche Stelle an einem Babykopf. Einmal nicht aufgepasst und schon konnte meine Mutterfigur voller Hingabe und Selbstaufopferung aufblühen.

    Heller spielt mit den Unsicherheiten – das Gefühl, dass man den Füßen unter dem Boden verliert, dass etwas großes Bedrohliches passieren wird, dass man das Gefühl hat, dass eine unkontrollierte Welle an Ereignissen auf eine*n zu kommt und man alles nicht mehr schaffen wird – und doch passiert nichts.

    Es erzählt die Geschichten einer Generation, die sich in Annehmlichkeiten in Sicherheit wiegt und schwer damit lebt, wenn Menschen nicht in ihren Lebensentwürfen integrierbar sind. Es sind Geschichten, die über die Wut von Frauen erzählt, die es nicht über das Herz bringen, die erlernten Verhaltensweisen, wie man zu sein hat, über Bord werfen.

    „Nachts sind alle Katzen. Softhorrorstories.“ ruft vor allem Leser*innen auf den Plan, die bereits „Cat Person“ von Kristen Roupenian toll fanden, oder „Freie Stücke. Geschichten über Selbstbestimmung“ (HG: Sonja Eismann und Anna Mayrhauser) gelesen hatten. Nina Heller, die am Literaturinstitut Leipizig studiert hat und Herausgeberin des Magazins Hot Topic! ist, hat den Zeitgeist ihrer Generation eingefangen und in 9 mal schwächeren, mal stärkeren Geschichten verpackt. Alle zeigen jedoch das Radikale in den Menschen und manchmal darf man sich auch gruseln:

    Ich stieg aus dem Bett, ignorierte den absackenden Kreislauf, schaltete die Lampe ein und suchte die Buchstaben auf dem Fenster, hauchte immer wieder gegen die Scheibe, bis meine Lunge schmerzte. YOUARENOTALONE.

    Nina Heller | Nachts sind alle Katzen | Gans Verlag | 232 Seiten | 9783946392354| ca. 25 Euro

    Danke an Birgit Böllinger und den Gans Verlag für das Rezensionsexemplar.

  • Raoul Eisele & Lea Menges | habe bewurzelte Stecklinge

    Raoul Eisele & Lea Menges | habe bewurzelte Stecklinge

    Die Geografie einer inneren Sprache lässt sich von vielem herleiten: dem Ort, an dem man aufgewachsen ist, oder des Dialekts, in dem man groß geworden ist, es ist auch die Muttersprache, die sich geografisch verorten lässt, oder auch die eigenen Erlebnisse, die sich tief eingeprägt haben. Das alles formt Identität und diese lässt sich thematisch an vielen Gesichtspunkten beobachten und fordert heraus, die eigene Identität gleichsam zu verhandeln.

    Die Herausgeber*innen Raoul Eisele und Lea Menges der Lyrik-Anthologie „habe bewurzelte stecklinge“ stellten sich zur Aufgabe, die innere Sprache von 36 Autor*innen einem Explorationsprozess zu unterziehen und in gedruckter Form auf 304 Seiten zu präsentieren. Dabei ist der Schreibprozess der FLINTA-Autor*innen offen im Buch dargelegt – als transparente Seite, die sich über jeden Beitrag legt. Am Ende dieses Beitrags befinden sich jeweils Fotos der Autor*innen, für die sich Lea Menges, eine der beiden Herausgeber*innen, verantwortlich zeigt.

    Das Ziel dieser Anthologie ist, der Sprache beim Wachsen zuzusehen, so wie man es bei Pflanzen in der Natur beobachten kann. In 6 Kapitel gliedert sich das Austreiben dieser poetischen Pflanze, 5 – 7 Autor*innen beschreiben jeweils ein Stadium. Es bleibt leider unklar, wie der Entstehungsprozess der Anthologie als eigener Steckling gewesen ist. Man bleibt dabei im Dunkeln, wie die Beiträge zusammengesetzt wurden, sie rückt zugunsten des individuellen Schreibprozesses komplett in den Hintergrund. Jede *r Autor*in hat ihren eigenen Steckling, der zu einer einzigartigen Pflanze heranwächst. Am Schluss erblüht ein wunderschönes, lyrisches Gewächs, das Leser*innen dazu einlädt, immer wieder in diesem üppigen, aufwendig gestalteten Buch zu blättern, als wären die einzelnen Seiten buchstäblich Blätter, Auswüchse und zarte Blumen.

    Die Stecklinge, die hier eingepflanzt werden, sind thematisch ein farbenfrohes Bouquet: Das Ich in der gegenwärtigen Phase, genauso wie das Ich in Zukunft, die Metamorphose dazwischen; es gilt die eigene Identität zu ergründen, eine eigene Heimat für sich und die Sprache zu finden, die eigene sprachliche Herkunft zu verhandeln:  Ukrainisch, Englisch, Arabisch, Französisch, Italienisch, Ladinisch, finden sich hier ein als Sprachsprenkel, die jeden Steckling einzigartig machen. Auch das Schweigen spielt thematisch eine große Rolle. Damit all diese Pflanzen wachsen können, nimmt das Wasser in vielen Beiträgen eine wichtige Position ein: Seen, wie etwa der Bodensee, unbekannte Flüsse, bekannte wie der Inn oder die Donau und auch das Meer bleiben hier nicht unerwähnt.

    Die Autor*innen zeigen uns Orte, an denen sie oder ihre Stecklinge gepflanzt wurden: Städte, Dörfer, Lagerplätze, Lieblingsorte flechten sich in die Texte genauso ein wie Sicherheits- und Sehnsuchtsorte. Dabei werden die Autor*innen gerne selbst zu Stecklingen, um endlich wachsen zu können, als Leser*in bekommt man neue Gedanken verpflanzt, als sei man nicht nur Rezipient*in, sondern der gelungene Versuch einer symbiotischen Beziehung.  

    „habe bewurzelte Stecklinge, Geografie meiner inneren Sprache“ schwächelt etwas an der Unleserlichkeit des Titels am Cover, jedoch niemals am Inhalt und noch viel weniger an der hochwertigen Verarbeitung, bei der man einen viel höheren Preis erwartet hätte. Hier regiert die Schönheit der Poesie und der Wunsch, diese stolz in seinem Regal stehen zu haben.

    habe bewurzelte Stecklinge. Geografie meiner inneren Sprache | Raoul Eisele & Lea Menges (HG.) | edition lex liszt| 304 Seiten,  ISBN: 978-3-99016-250-7, 27 Euro

    Mit Beiträgen von:  Mariia Arson, Anna Bauer, Hannah K. Bründl, Roberta Dapunt, Katharina J.Ferner,Verena Gotthardt, Sonja Harter, Clara Heinrich, Sandra Hubinger, Cornelia Hülmbauer, Katharina Klein, Clara Heinrich, Julia Knaß, Daniela Kocmut, Erika Kronabitter, Tara Meister, Astrid Nischkauer, Maë Schwinghammer, Asiyeh Panahi, Frieda Paris, Michèle Yves Pauty, Judith Nika Pfeifer, Rosa Pock, Valerie Prinz, Helene Proißl, Sarah Rinderer, Caca Savic, Nadia Rungger,Verena Stauffer, Sualah Tei, Susanne Toth, Liesl Ujvar, Seda Tunç, Jana Volkmann, Valerie Zichy. Mit einem Vorwort von Simone Schabert.

    Ich danke Raoul und Lea recht herzlich für das Rezensionexemplar.

    Ich danke Raoul und Lea recht herzlich für das Rezensionsexemplar.