Autor: katkaesk

  • [litrobona|rezension] Ein Mädchen namens Wien | Sahar Mandûr

    [litrobona|rezension] Ein Mädchen namens Wien | Sahar Mandûr

    Sahar Mandûrs Ein Mädchen namens Wien. Ein Frauenleben REZENSION Katharina Peham, 10. August 2022 Wien, ein Mädchen, deren Geburt im libanesischen Beirut von Bürgerkrieg begleitet wird und gleichzeitig mit ihrem Geschlecht die Hoffnung des Vaters auf einen Stammhalter begräbt, sucht ihren Platz als Mädchen, später als Frau in einer Gesellschaft, die sich zwischen Tradition und […]

    Litrobona geht auf Reisen I — litrobona
  • [rezension] Stille Kometen // Angelika Stallhofer

    [rezension] Stille Kometen // Angelika Stallhofer

    Stille Kometen, das sind in Angelika Stallhofers Fall ruhige und doch bewegte Gedichte. Kurz und bündig steht jedes Gedicht auf einem weißen Blatt, damit nichts die kometenhafte Ruhe des einzelnen Gedanken stört. Der Band selbst strukturiert sich in fünf Teile:

    Brennen, Wasserstelle, Surren, Schlingen, Schwebebahn

    Angelika Stallhofer hat das Zeug für Worte zu „Brennen“, wie man bereits im ersten Kapitel merkt. Sie ist zunächst allein mit all den Wörtern und lässt auch Lesende so stehen. Sinnspruchgeflügelte Worte und ein Ahnen nach dem Tod, um den sich das Leben zweifelsohne dreht, ein schwarzes Loch inmitten unseres Alltags, ein lyrisches memento mori wird hier ausgebreitet. In poetische „Wasserstellen“ watet Stallhofer und vermag mit der Nacht zu reden und lässt Worte wie Windhunde los. Sie begibt sich auf Identitätssuche und gewinnt Lesende hier:

    Was ich werden wollte / groß und liniert / (nicht klein und kariert)

    Stille Kometen / Angelika Stallhofer

    Dieses Gedicht bildet wohl die Ausgangslage für die grafische Detailliebe, für die sich Andrea Zámbori zuständig fühlt: feine Linien (nichts Kariertes) in rosa, pink, blau und Backpapierfarben gehalten gesellen sich zu den fünf Kapitelüberschriften jeweils eine Collage hinzu. Zámbori unterstützt Stallhofer bei der Suche nach der Herkunft, da finden (gedankliche) Wolkenhäuser genauso Platz wie ein schlafender, kuschelnder Fuchs und eine dunkle Nacht draußen vor dem Fenster. Die Bilder an sich zeigen eine Einsamkeit, die wassertrübblau eine Geschichte erzählen, von einem grafischen Du, das Stallhofer gekonnt auffängt. Plötzlich finden sich da Fragen nach dem Sein und des eigenen Lebens: Ob der rote Faden im Leben auch eine andere Farbe haben darf, z. B. grün, blau oder gelb.

    Im dritten Kapitel wird das „Surren“ laut, hier erwartet die Lesenden Paradoxien:

    Paradoxon: Zum Luftholen musst du abtauchen

    Stille Kometen / Angelika Stallhofer

    Die Härte der Lebensrealität, sodass Mensch im Wasser versinken möchte, bietet einen thematischen Übergang zum Reisekapitel „Schlingen“. Die Autorin nimmt uns mit in Traumwelten und reist mit uns nach Italien, die Via Appia entlang, zeigt uns ein Stück von Paliano und landet schlussendlich an der Molo Audace in Triest. Hier treibt das Meer und der Wind die Lyrik an und macht eine Punktlandung ganz unverhofft in Barcelona. Mit diesem Urlaubsgefühl entlässt uns Stallhofer in die „Schwebebahn“. Hier tänzelt, schwirrt und flattert man um das lyrische Du, das groß aufgeladen ist und mit einem liebevollen Blick bedacht wird. Liebesgedichte, wie Notizen auf den Tisch geklebt: für den Anderen.

    Lesende werden in ein Meer an Gefühlen geworfen, das Wasser dominiert auf dem Cover, in das still die Kometen fallen und versinken, auch zwei Kapitelbilder verwässern sich. Zum Schluss wünscht sich auch das letzte Gedicht, dass ein Vogel lieber das Blaue singt, als eine Erdbeere zu stehlen. Hier wird auf ein patentiertes Tapetenmuster von William Morris referenziert, strawberry thief – bei dem ein Vogel frech eine Erdbeere im Schnabel hält und der andere zwitschert.

    „Stille Kometen“ ist von feingesponnener Erzählseide. Stallhofers Gedichtband didn’t get the blues, auch wenn er in manchen Kapiteln ein bisschen damit spielt. Hoffnungsfroh und sanft erzählt das Büchlein einen (Arbeits)prozess, der vor allem Lesende von Aphorismen sehr begeistern dürfte.

    [Information] Stille Kometen. Gedichte. Angelika Stallhofer. Mit Illustrationen von Andrea Zámbori. edition ch. 74 Seiten. 15 Euro. ISBN 3-978-901015-76-2

    Ein herzliches Dankeschön an die Autorin für das Rezensionsexemplar.

  • [rezension] Die Königin von Troisdorf // Andreas Fischer

    [rezension] Die Königin von Troisdorf // Andreas Fischer

    Ich bin ein Luftschlucker. Das gefällt mir. Ich will gerne ein Luftschlucker sein.

    Andreas schluckt viel mehr als die Luft in diesem Buch. Er ist als Kind dazu gezwungen, die Vergangenheit seiner Vorfahren zu „schlucken“, immer ohne Kontext und viel zwischen Zeilen. Er schluckt verbale Entgleisungen wie körperliche Gewalt, Bedrohung wie Streit, großelterliche Diffamierung wie Lieblosigkeit.

    Alle Bezugspersonen um Andreas sind Erwachsene und tragen jeweils ihr Päckchen Trauer, Trauma und Trostlosigkeit mit sich herum. Oma Lena scheint ihren Enkel zu hassen, wie sie verbal häufig kundtut. Mutter Ilse tritt als Verbündete der Großmutter auf, Vater Reinhold trinkt, raucht und versucht, die Vergangenheit zu vergessen. Onkel Bruno ist gewalttätig und lässt Andreas diese Abneigung spüren, da er sehr hart zu dem Jungen ist. Einzig Tante Hilde, sein „Herzlieb“, zeigt mit Güte und Warmherzigkeit Andreas eine andere Welt.

    „Die Königin von Troisdorf“ ist ein Kriegsenkelroman, der sich so individuell gestaltet und trotz alledem eine typische deutsche Nachkriegsfamiliengeschichte erzählt. Der Aufbau Westdeutschlands atmet man nebenher ein: Nach den zwei Weltkriegen arbeitet sich die Familie mit dem Fotogeschäft hoch, baut Mietshäuser, wird vermögend – eine typische Aufstiegsgeschichte, die vor allem den Satz mit sich trägt: Leistung lohnt sich. Zu bedauerlich, dass Andreas dies vermeintlich nicht versteht und seine gutsituierte Lage nicht zu schätzen weiß. Er ist jener Sohn, der nie in den Krieg musste, keinen Verlust zu beklagen hat und den herben Verlust des Endsiegs nie zu tragen hat. Dies zeigt sich in der Tonalität des Kindes gegenüber, ebenso der Ansicht, wie ein Kind zu sein habe. Andreas weiß sich nicht zu helfen und nennt Mutter und Großmutter daher Hindenburg und Ludendorff:

    „Ich habe zu gehorchen, nur ein gehorsames Kind ist ein gutes Kind. Ich habe nichts zu wollen und schon überhaupt nicht etwas nicht zu wollen. Ein Infragestellen der Befehlsgewalt bedeutet für Hindenburg und Ludendorff Hochverrat, eine Gefährdung der Herrschaftsstruktur an und für sich, und an dieser Stelle kennt die Oberste Heeresleitung kein Pardon.“

    Fischer erzählt autobiografisch seine Geschichte, die in neunundfünfzig Kapitel gegliedert ist und sich über 100 Jahre (1914 – 2014) zieht. Es geistert viel in diesem Roman. Die Geschichte des gefallenen Onkels Günther, der via Feldposteinträge vorgestellt wird. Ein glühender Verehrer der Härte; sie geistert Jahrzehnte später im Wohnhaus der Fischers weiterhin herum. Ebenso geistert Opa Paul herum, der im ersten Weltkrieg war. Auch die Nähe zwischen Andreas und seinem Vater geistert herum, die ab und an schöne Momente erleben wie den Kauf einer Enzyklopädie, sofern dieser nicht betrunken bei Korn und Kippen in der Küche sitzt.

    Schmerzhaft und sehr detailgetreu wird die familiäre Situation beschrieben, dessen Epilog länger als der tatsächliche Epilog ist. Der Roman liest sich nichtsdestotrotz als Zeitdokument der 1970iger Jahre und den technischen Erfindungen, die Andreas eine neue Welt eröffnen. Fischer sucht die Nähe zu den Leser:innen in den Orten seiner Kindheit: Baggergruben, Kirchen, kleine Kinderzimmer, Küchen und die Straßen von Troisdorf. „Die Königin von Troisdorf“ ist harter Tobak, Fischer hinterfragt Glaubensgrundsätze und historische Ereignisse, er geht mit selbst dabei am härtesten ins Gericht.

    Wenn dieser Roman eines zeigt, dann das:  Von der eigenen Kindheit erholt man sich nicht. Aber Schreiben lindert den Umstand etwas.

    [Information] Andreas Fischer : Die Königin von Troisdorf. Als der Endsieg ausblieb. eschen4 verlag: 473 Seiten, 22,50 Euro, ISBN 978-3-00-070369-0.

    Ein herzliches Dankeschön an Birgit Böllinger für das Rezensionsexemplar.