Schlagwort: literature (Seite 3 von 4)

With a little help from my friends.

Ich weiß noch, wir sind im Auto gesessen und haben die Beatles gehört. Es ist nicht die Musik unserer Generation, wir hören sie trotzdem. Wir kennen die Lieder von unseren Eltern, sie schätzten sie nie so sehr wie wir. Deine Finger trommeln leise am Lenkrad mit, du wusstest nicht, dass es eine Twist&Shout Version von den Beatles gibt. Ich erzähle dir, dass John Lennon das Lied mit Heiserkeit eingesungen hat und deshalb seine Stimme tiefer klang. Es interessiert dich nur mäßig, du singst lieber falsch mit.

Wir sind unterwegs, irgendwo hin und ich wünschte, dieses unterwegs sein endet nie. Long and windy road könnten wir hören, aber es würde uns zu melancholisch stimmen. Wir hören stattdessen „With a little help from my friends“ und ich werde trotzdem traurig. Bald weißt du, dass es eine sehr berühmte Joe Cocker Version von dem Lied gibt und einmal weiß ich mehr von Populärkultur als du.

Was ich nicht sage ist, dass ich zu der Version von Joe Cocker Sex haben will. In der Anmaßung uns gegenseitig zu zerstören, would you stand up and walk out on me, du weißt, ich käme davon mit einer little help of my friends. Ich brauch jemanden zum Lieben, somebody to love schon 1967 und nicht erst mit Queen 1976. Lieber zum Fenster rausschauen, statt dir zu sagen, dass man zu dem Lied Liebe machen muss und nicht Sex haben, weil Joe Cocker soviel Leidenschaft reingepackt hat, dass Sex zu wenig ist, das muss verdammt noch mal Liebe sein. How to feel about the end of the day und bleib und geh nicht weg und ich will dir sagen, dass ich nicht so ungeliebt wie der fünfte Beatle Brian Epstein enden mag. Aber dich zu diesem Song lieben, ja das will ich, mit all der Melancholie, die ich auftreiben kann und all dem Ungesagten, das in mir boxt und nicht rauskann. I can’t tell you but it’s mine.

Was würdest du tun, if I sang you a song? Ich weiß es nicht, aber es wäre wohl schmerzhaft für dich. Alles was ich über dich sage, ist für dich schwer zu verkraften. Keine Widmungen mehr, hatte ich dir geschworen und es schon hundertmal gebrochen, ich kann nicht von dir schweigen und nicht über dich schweigen, es war Liebe auf den ersten Blick, nein, aufs erste Wort und es passiert nicht die ganze Zeit, das ist wie mit ersten Sätze in Büchern, die wenigsten sind wirklich gelungen. Wie wird es uns gelingen, neue Welten zu erklimmen. Little help to get high? Mit dir oder dem langgehegten Wunsch LSD auszuprobieren. Es ist nicht unsere Zeit dafür, wir wollen das erleben, leider keine Zeitmaschine in die Sechziger nach London und endlich würden deine Schnurrbartversuche nicht mehr lächerlich aussehen. Lakonisch könnten wir der Ästhetik frönen, wir könnten Kostümierungen anziehen, in den Apple Store von den Beatles gehen und er wäre soviel besser als die Apple Stores dieser Tage. Wir könnten in Pubs gehen und Bier trinken und die Welt weniger als einzige Anstalt des Scheiterns betrachten. Wir könnten 7 Tage im Bett liegen als Protest, wie Yoko und John, Kunstausstellungen besuchen und kuratieren und so tun als wären wir Teil der Advantgarde, und uns über unseren Lieblingsbeatle lustig machen, weil er sich beim Mofa-Fahren einen Zahn ausgeschlagen hat und sich deswegen die ganzen Beatles Bärte stehen ließen. Ich kann dir nicht permanent sagen, wie gut dein Bart aussieht, heute tut er es, und er tut es immer, und wir sollten Zigaretten rauchen. Wir sollten uns auch vier Stunden in einen Raum einsperren und so einen Song schreiben, der die ganze Weltgeschichte verändert, in Zeitungen einen besseren Titel finden als Bad Finger Boogie. Oder wir könnten uns in transzendentaler Meditation üben und Maharishi toll finden, oder auch nicht und lieber indisch essen gehen und danach mit vollen Bäuchen ins Bett fallen. Ich bin so voll mit dir, von unten bis oben, mir zerbricht der Brustkorb, so voll ist er, mit all dem, was du mir sagst und denkst und lachst und are you sad because you’re on your own?

Maybe you get by with a little help from your friends. Wir fahren weiter, nächster Titel.

Bildnachweis.

Hundertsechsundzwanzig Stunden.

Wenn du weg bist, sieht alles verwaschen aus. Die Wohnung, in der wir leben, der Himmel, wie ein Himmel von Manet, wie rote Frauen von Garache. Da ist diese, deine braune Tasche auf dem Bett, ein Teller voller Krümel, deine Schuhe. Da ist dein Durst letzter Nacht noch sichtbar, eine ausgetrunkene Wasserflasche, womöglich eine zweite unter dem Bett. Da ist das Fenster, das von letzter Nacht erzählt, als man betrunkene Jugendliche vorbeilaufen hörte und um vier Uhr morgens die Müllabfuhr. Da ist irgendwo über, unter, neben dir Musik aus den Neunzigern, die jeder kennt und niemand mehr hört. Halbschlaf, tiefer Schlaf, Viertelschlaf, auf der einen und der anderen Seiten, ein guter Gedanke, Albtraum, Sehnsucht nach Morgen. Es ist leer, wenn du gehst, und doch so voll, wenn du kommst. Zahnbürste, Seife, Zahnbürste, rotes Handtuch, irgendwo ein blaues, Löffel, Tisch, Tüte, Bett. Das Wetter meint es gut mit dir, und doch ist immer wieder Weltuntergang, wenn du gehst. Heute ist das Wetter blau, rot und lila, und manchmal ein bisschen weiß, von den Wolken, die mehr gesehen haben, als ich an manchen Tagen. Überall nichts, überall Welt, hier ein Universum und da ein Planet. Planetenbahn, Autobahn, Bahnhaltestelle.

Du magst Bahnhaltestellen, aber nur wenn sie ästhetisch sind. Alt und ästhetisch oder neu und ästhetisch, es spielt keine Rolle. Ästhetisch und echt. Aber das Echte lässt sich so schlecht finden, sagst du immer. Eingepfercht in einem Lebensgefühl, das so gar nicht passt. Wir sehen so ästhetisch aus, wenn wir in den Park gehen, auf den Kinderspielplatz, Schaukel an Schaukel mit Bier, keine Kinder, viele Kinder, wir sind Kinder. Hast du dich gefragt, was ich mich gefragt hab. Hast du was gesagt, und ja und ja und nein und nein und hundertmal ein Brummen und Okay.

Heute ist Postkartenwetter, eine Stadt, dahinter ein Feld. Bist du schon lange wach und ein Mhm. Deine Stimme zerläuft, sie ist anders als sonst, tiefer, sonorer, wie ein Haselnusskaffee aus dem Automaten. Ein Schulterzucken auf deine Frage, ein Blick in deine Richtung, ein Alles und ein Nichts, es bleibt beim Nichts. Ob sich heute schon wer gemeldet hat, zwei Anrufe, drei Nachrichten, auf deinem Telefon weiß ich nicht, schau selbst. Da ein Anruf, da eine Nachricht, verschlafene Augen, verwaschener Mund, ein Mundwinkel zieht sich schwach nach oben, der andere noch neutral, er entscheidet noch, was für ein Tag heute wird.

Heute ist Markt, ich gehe alleine, du schläfst. Lachsfarbene Häuser, gelbe Häuser, kaputte Fassaden, Fassade, Hülle, Oberfläche, Maske, mein Gesicht. Sonnenschein, verhalten, eine Sommersprosse, dann die nächste Sommersprosse, Fischmarkt, mehr Muscheln als Fische. Zuviel Geruch für den Morgen, da eine Bäckerei, Post, eierschalenfarbene Fassaden, kein Kaffee, du schläfst.

126 Stunden bis alles wieder anders ist. Heute lachst du viel, du lachst heute so als wärst du der Herbst. Herbst ist meine Lieblingsjahreszeit. Es ist nun dein Lachen. Du bist schön anzusehen, wenn du lachst, in dein Telefon hinein, eine Welt, du bist mit Kopfhörern verbunden. Manchmal bist du eine eigene Welt, umgedreht zur Wand, zwischen Buch und Musik oder Fernsehen. In 119 Stunden wirst du schlafen gehen, von einer Welt träumen, die du zuvor im Kino gesehen hast. Schnelle Welt, gute Welt.

Ob 126 Stunden genug sind, habe ich mich fragen hören, in den Innenhof hinein. Ob du dann bei mir bleibst, trotz allem, habe ich mich schweigen hören. Innenhof, rote Hängematte, zwei Kammern, frische Wäsche, schlechte Musik über den anderen Innenhof, stöhnende Frau von Osten, Schatten, Holzbank, Fragen.

Ich habe dir nie erzählen können, wie das ist, wenn du gehst. Da ist dein Ladekabel, und es ist das, woran ich mich klammere. Dass du da bleibst, weil dein Ladekabel da ist und deine Bücher und du gehst nicht ohne deine Bücher. Der Raum riecht nach dir, er riecht nach deinen Hoffnungen, deinen ungesagten Gefühlsregungen. Ich will dir etwas hinterlassen. Etwas, dass du hast, wenn ich gehe. Ein Foto. Auf deiner Kamera. Ich fotografiere mich. Im Spiegel. Ernst. Angestrengt. Du sagst ich schaue angestrengt, ich sage, du siehst müde aus. Wir sind müde und angestrengt. Müde des Lebens, angestrengt vom gegenseitigem Ablösen. Du fehlst.

Ich bin zurück und das Wetter ist anderswo prächtig habe ich dich sagen hören. Ich bin noch da will ich mich sagen hören. Dem Drang widerstehen, wegzulaufen, wir besteigen Berge. Im Garten hier ist es schön, sagst du mir und du willst auch ein Haus mit Garten und malen und existieren. Ich will auch ein Haus mit Garten, aber lieber eine Altbauwohnung mit Balkon, wir verlaufen konträr.

Bist du noch wach, bist du noch da, schweige ich dir im Schlaf entgegen. Im Mondlicht das angekettete Fahrrad bewundern, die ganze Woche stand es da. Du hast es auch bemerkt. Ich liege alleine, du bist nicht da, du bist nicht wach. Du bist fern, weiter als sonst. Ich höre dich reden und träumen, die Welt dort ist soviel schöner als hier. Ich werde dir nicht fehlen.

Bildnachweis.

[Sterbenswörtchen] Daniel Spitz.

Wer sind diese großartigen Autor/-innen, die ein Sterbenswörtchen verlieren? Einer davon ist Daniel Spitz, Jungautor aus München. Daniel schreibt, wenn er nicht gerade bei Kunst & Spiel seine Zeit verbringt, wunderschöne Geschichten auf seinem Blog Seavity.  Der grandioser Schriftsteller war bereit mir meine Fragen zum Tod und Sterben zu beantworten:

Was bedeutet Tod für dein Schreiben?
Das Leben mündet im Tod, damit mündet das Schreiben im Tod. Mein Leben, das hat ein Ende, doch meine Literatur, mein Werk, das lebt weiter. Das erfüllt mich mit Trauer, aber auch mit Glück.

Wie politisch ist der Tod?
Der Tod ist eines der einzigen Themen, das nicht politisch sein kann. Jede politische Debatte, jeder Gesetzesentwurf sollte sich nicht um den Tod kümmern, sondern wie wir sterben wollen. Was wollen wir auf diesem Weg erhalten und wer darf schließlich über ein Sterben entscheiden, wenn ich es selbst nicht kann? Oder darf ich überhaupt selbst über meinen Tod entscheiden? Also, Dinge die im Tod enden sind politisch, nicht der Tod als solches. Sprich: Das Leben ist politisch, nichts was danach passiert.

Wie wirkt der Tod in sozialen Medien?
Wie jedes andere Thema auch und ich bin mir unsicher ob das gut oder schlecht ist. Der Tod geht meistens genauso viral, wie ein lustiges Meme. Ein Tod eines „Normalsterblichen“ dafür nicht, der verbleibt für enge Freunde, bzw. oberflächliche Bekanntenkreise. Und dann kommen noch mehr Fragen auf. Was passiert beispielsweise mit meinen Profilen, mit meinen Wirken in sozialen Medien, wenn ich tot bin?

Was bleibt von Menschen, wenn sie nicht mehr sind?
All das was sie geschaffen haben. Ihr Werk, ihr Wirken, ihre Freundschaften, was sie sagten und für was sie einstanden.

Was bleibt/geht, wenn du gehst?
Meine Texte und ein volles Bücherregal. Alles andere wage ich nicht selbst zu bestimmen, andere entscheiden nach meinem Tod welche Dinge von mir bleiben, welche Dinge gehen sollten.

Welches Kunstwerk (Musik, Buch, Film, Text, Bild) drückt den Tod am besten aus?
Goethes Leiden des Jungen Werthers.

Wie viele Tode kann man sterben?
So viele, wie man zulässt.

Welchen Zustand hat der Tod?
Eigentlich ist der Tod ja das Vergänglichste, oder ist das Leben das Vergänglichste? Nun ja, er ist meist auf jeden Fall konservierend. Weiß ja niemand so genau.

Inwieweit beeinflusst der Glaube/Nichtglaube den Tod?
Ich glaube nicht, das der Glaube den Tod beeinflusst. Sehr wohl aber alle anderen die an einem Tod Anteilnahme haben.

Was bedürfe einer Änderung in der Welt bevor man geht?
Es bedürfe sich selbst zu ändern – der Ausgangspunkt für eine Veränderung der ganzen Welt.

 

Danke, Daniel.

Daniel lebt auch bei Instagram, Facebook, Twitter und auf seinem Blog.

[Sterbenswörtchen]: Julia Knaß.

Wer sind die tollen Wortartistinnen, die ein Sterbenswörtchen verlieren? Mein aktueller Gast ist Julia Knaß, wunderbare Autorin aus dem südlichen Österreich. Julia arbeitet nicht nur als Journalistin, sondern betreibt auch einen lesenswerten Blog unter dem Namen: lia:.writing, und ist regelmäßige Bloggerin für das Projekt.txt. Diesmal hat sie viele Wort für das Projekt [Sterbenswörtchen] verloren:

Was bedeutet Tod für dein Schreiben?

ich kann über den tod, über meine beziehung zum tod nicht wirklich sprechen. das trifft zwar auf alles andere auch zu, aber insbesondere darauf. ich wage, zu behaupten, dass es den meisten menschen ähnlich ergeht.

tod macht sprachlos. mein schreiben wurzelt in einer sprachlosigkeit.
vielleicht war auch deswegen „die freundin des todes“ der titel, einer der ersten geschichten, die ich für mich skizziert und in bruchstücken geschrieben habe.

Wie politisch ist der Tod?

der augenblick unseres eigenen todes ist wohl der einzige moment, in dem wir frei (davon) sind.

aber die kontextualisierungen von tod sind politisch; die perspektiven auf den tod; alles rund um den tod ist politisch. tod (tote) und krieg(e) als ein untrennbares grausamkeitspaar.

Wie wirkt der Tod in sozialen Medien?

anders. weil das medium andere zugänge zum tod schafft. das ist an sich weder positiv noch negativ. wie wir damit umgehen, ist eine andere sache. soziale medien vervielfachen oftmals eine bestimmte wirkung. der tod kann dadurch grausamer werden. wir (ent-)emotionalisierter. das medium kann aber auch verbindungen herstellen, schmerz teilbarer machen. im gegensatz zur offline-welt, in welcher der tod schon lange zuhause ist, müssen wir online erst lernen, wie wir damit umgehen (wollen). offline gibt es rituale und strukturen.

sowohl digital als auch analog bleibt der umgang mit dem tod aber für jeden einzelnen ein lernprozess.

Was bleibt von Menschen, wenn sie nicht mehr sind?

verzerrte, zersplitterte spiegelbilder von ihnen in unseren köpfen. schmerz, sehnsucht, warme erinnerungsbruchstücke, die uns ein gedankliches zuhause bieten;

ein unendliches was-wäre-gewesen-wenn-spiel, das wir eigentlich niemals beginnen sollten.

Was bleibt, wenn du gehst? Was geht, wenn du bleibst?

eine lücke, für alle, die mich kannten; meine spuren in der cloud für jede*n suchbar.
ich als erinnerungsdesiderat in manchen köpfen. ich als sehnsuchtsmetapher in anderen.

solange ich bleibe, bleibt mir die hoffnung, irgendwann wörter und bedeutungen zu finden jenseits der bisherigen binaritäten; ein whiteout jenseits von böse und gut.

Welches Kunstwerk (Buch, Film, Musik, Text, Bild) drückt den Tod am besten aus?

eines, das den tod am besten ausdrückt, habe ich (für mich) noch nicht gefunden; dafür viele, die unterschiedliches vom tod und über den tod erzählen;

eine (kleine) auswahl:

Wie viele Tode kann man sterben?

beim schreiben und lesen: unzählige.

außerhalb davon finde ich, hat sarah riedeberger in ihrem interview dafür genau die antwort gegeben.

Welchen Zustand hat der Tod?

tot (sein).

Inwieweit beeinflusst der Glaube/Nichtglaube den Tod?

den tod selbst nicht, nur das davor und danach (für die, die bleiben). die strukturen und rituale, die glauben nach dem tod für die hinterbliebenen bieten kann und die trost spenden;

ich plädiere für ein glauben an nähe und gemeinschaft; dafür, sich zu erlauben, an etwas zu glauben (jenseits von jeglicher ideologie).

Was bedürfe einer Änderung in der Welt bevor man geht?

die menschen (mich eingeschlossen): eine utopie.
und es sollte vielmehr getanzt werden: vielleicht umsetzbar?
und freibier: eigentlich nicht wünschenswert, aber ich wollte nicht düster, sondern lieber mit bier & unsinn enden.

 

Ich danke Julia für das Interview! Dankeschön!

 

Photocredit: Lena Wurzinger

Projekt [Sterbenswörtchen]: Sarah Riedeberger

Das Projekt [Sterbenswörtchen] lädt jeweils einen Autor/eine Autorin ein, Fragen über den Tod und über das Leben zu beantworten. Die Autorin Sarah Riedeberger macht den Anfang. Sarah beschäftigt sich seit Jahren mit dem Tod und ist eine Expertin zu diesem Thema. Auf ihrer Seite „Wir sind noch immer hier“ schreibt Sarah sehr viel zum Sterben und Abschied nehmen. 

Hier gehts zum Interview!

Was bedeutet Tod für dein Schreiben?

Alles. Früher war eine Art „Todessehnsucht“ ausschlaggebend. Heute ist meine Auseinandersetzung mit dem Tod schon eher verwandt mit einer Lebenssehnsucht. Und nicht grundlos sind die Sätze „Ich schreibe dir den Tod zu Füßen“ und „Der Tod spielt hier die Muse“, seit einer langen Zeit meine Begleiter. Im letzten Jahr hat mich der Tod durchweg beim Schreiben beeinflusst, deswegen habe ich irgendwann angefangen, hauptsächliche darüber zu schreiben. Aber auch bei Texten, die scheinbar nichts mit dem Tod zu tun haben, war und ist der Imperator nicht weniger der Tod, bzw. meine eigene Löchrigkeit nach einem Verlust.

Wie wirkt der Tod in sozialen Medien?

Der wirkt seit einer Weile ganz schön arg, geht viral, ist ehrlich, wahr und manchmal leider auch katastrophal. Aber die Frage ist ja, inwieweit man den Tod, der in sozialen Medien/Netzwerken präsent ist, zu dem zählen kann, was einen wirklich berührt oder beeinflusst. Denn obschon der Tod für mich sicherlich keine Belanglosigkeit ist – im Gegenteil – bin ich relativ abgeklärt, wenn es um den Tod einer prominenten Person geht. Manchmal habe ich deswegen ein schlechtes Gewissen, aber im Grunde kann ich ja auch nicht für jeden Menschen, der lebt, Liebe empfinden, weshalb dann Betroffenheit, wenn jemand geht? Aber was fernab von populären Nachrufen in kleinen Nischen so vor sich geht, finde ich ziemlich groß. Dass Menschen da ehrlich von ihrem Erlebten erzählen, von ihren Verlusten und dem darauffolgendem, neuen Leben. Das ist wirklich schon fast magisch, und schützt ein bisschen vor dem Versinken in der schonungslosen Einsamkeit. Nebenbei: Ein paar der besten Menschen, habe ich sogar durch/wegen/über den Tod in sozialen Netzwerken kennen gelernt.

 Was bleibt von Menschen, wenn sie nicht mehr sind?

Da bleibt eine ganze Menge. Vor allem Erinnerungen und Gefühle. Auch wenn man sich das kaum vorstellen kann: es gibt diese früheren Momente, die in die klaffenden Wunden fallen und ausfüllen und heilen und erkenntlich machen, was schon längst vergessen oder verdrängt war. Ein Verstorbener geht nie mit all seinem Krempel, da fällt noch eine Menge an, das man entsorgen oder in Schubladen einsortieren, das man im Herzen behalten kann. Ein Buch, das man lesen und ein Gericht, das man, in Gedanken an jemanden, essen könnte. Der Tod ist vielleicht das Wegsein eines Körpers, aber ja nicht das Wegfallen von Stützen und Erlebnissen. Der Verstorbene hat noch einen Namen, der hat noch einen Geburtstag, eine Haar- und Augenfarbe, Marotten und Gefühle, und irgendwo zwischen heute und morgen ist noch alte Liebe, ausgehend von jemandem, der scheinbar gar nicht mehr anwesend ist. Das kennt man ja. Das ist nach Trennungen doch auch das Einzige, was übrig bleibt. Die kleinen, zerknautschten Gefühle und Erinnerungen, die man so gut zu verdrängen scheint.

Was bleibt, wenn du gehst? Was geht, wenn du bleibst?

Auf jeden Fall ein sehr großer Haufen Papier und Notizbücher, angefangene Sätze und nie geschriebene Bücher. Aber was letztendlich, bis auf ein kleines Fleckchen auf einem Friedhof von mir als Erinnerung bleibt, entscheiden die, die ohne mich dann weiterleben. Es gibt Geschichten von mir im Internet, und welche in den Köpfen von Menschen, die mich wirklich kennen. Das ist schon echt gut, so wie es ist. Und ich glaube, das reicht aus, um nicht ganz in Vergessenheit zu geraten.

Welches Kunstwerk (Buch, Film, Text, Bild) drückt den Tod am besten aus?

„Wir haben Raketen geangelt“ von Karen Köhler beschreibt den Tod/das Sterben aus verschiedenen Winkeln.

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Wie viele Tode kann man sterben?

Das klingt wirklich uncool, aber exakt einen einzigen. Da bin ich mir ziemlich sicher. Alles andere sind nur gedankliche Knochenbrüche, Entzündungen in unseren Lebensgeschichten, scheitern am Tag, verzagen an der Nacht, hadern oder phrasenhaftes Fallen, aber richtig tot, wahrhaftig, mit allen Lichtern aus, ist man erst, wenn das Herz gar nicht mehr schlägt.

Welchen Zustand hat der Tod?

Die Beschaffenheit eines Toten liegt ja auch im Auge des Betrachters. Vielleicht sieht da jemand noch ein Zucken, nochmal ein Aufbäumen oder nach Luft schnappen, etwas Lebhaftes. Ich sehe kein Heben und Senken des Brustkorbes mehr, der Bauch ganz flach, das Gesicht starr. Der „sichtbare“ Zustand von Tod ist Leblosigkeit.

Inwieweit beeinflusst der Glaube/Nichtglaube den Tod?

Sterben müssen Nichtgläubige genau wie jene, die jeden Sonntag in die Kirche latschen, beten, nach allen Regeln einer Religion leben. Ebenso müssen auch Menschen, die keinen Glauben haben, Abschied nehmen. Und dafür muss man echt keine religiöse Haltung haben. Aber da ich nicht besonders gläubig bin, kann ich auch nicht genau sagen, ob es hilfreich ist. Aber ich denke, dass es nicht zwingend der Glaube ist, der den Umgang mit dem Tod beeinflusst, sondern der Mensch an sich, die Sensibilität, das Umfeld, und alleine schon die Sicht auf das Leben. Und die ist bei jedem Wesen so verschieden, dass man das wirklich nicht pauschal sagen kann.

Was bedürfe einer Änderung in der Welt bevor man geht?

Also bevor ich sterbe, wäre es auf jeden Fall ganz schön, wenn die Themen Tod und Trauer noch etwas mehr ins Leben integriert wären. Nichts ist trauriger, als die Vorstellung, dass sich niemand mehr an mich erinnert, „weil man ja nicht dauernd einen Toten erinnert“. Aber ganz im Allgemeinen wäre es schon gut, wenn die Furcht vor der eigenen Sterblichkeit nicht mehr Hand in Hand mit dem Verschweigen von Verlusten ginge. Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg. Und wer weiß, vielleicht machen meine Enkel irgendwann da weiter, wo ich angefangen habe und reden über meinen Tod.

 

Dankeschön für das Interview.

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