Schlagwort: Literatur

  • [Rezension] Leo Gilbert: Seine Exzellenz der Android

    [Rezension] Leo Gilbert: Seine Exzellenz der Android

    Und wie hocharistokratisch war erst die strenge Gemessenheit aller Bewegung, das vollendet Automatische, das wie vornehmste Selbstbeherrschung, erhabene Kühle wirkte!

    Künstliche Intelligenz in den Wirren der Vorkriegszeit: 1907 veröffentliche der jüdische Wissenschaftsjournalist Leo Gilbert (auch unter dem Namen Leon Silberstein bekannt) einen der weltweit ersten Science-Fiction-Romane unter dem Titel „Seine Exzellenz der Android (Automat)“.

    Die Nazis verbannten das Buch aus den Bibliotheken und es sind nur noch wenige Exemplare von damals vorhanden. Dies veranlasste Dr. Nathanael Riemer, Professor für jüdische Geschichte in Potsdam,  zu einer Neuauflage in der Edition W.  Doch worum geht’s?

    Der geniale Wissenschaftler Frithjof Andersen konstruiert den ersten vollkommenen Androiden. Mithilfe von Sprechwalzen, künstlich genähter Haut, pulsierenden Adern und feinster Mechanik gelingt ihm das schier unmögliche: eine Maschine, die sich wie ein Mensch bewegt und wie ein Mensch denkt und spricht. Der Android hat nur einen Haken – er lässt sich nicht mehr abschalten und entwickelt so ein Eigenleben, das vor allem sein Erdenker als großer Gefahr für die Menschheit sieht.

    Lars Andersen, so wie sich der Android nennt, emanzipiert sich von seinem Schöpfer und wird zunächst Großindustrieller, danach sogar Minister und zu allem privaten Übel spannt er auch noch dem Wissenschaftler die Verlobte aus, die sich nicht darüber im Klaren ist, mit einem Minister verheiratet zu sein.

    Alleine überlegt sein Konstrukteur, wie er nun dem Androiden wieder Herr wird und alles droht zu eskalieren.

    Die Sprache des Romanes ist weit von dem entfernt, was unseren heutigen Lese- und Sprachgewohnheiten entspricht, auch die Gesellschaftskonventionen haben sich in den letzten hunderten Jahren mehr gewandelt, als man zunächst denken würde. Leo Gilbert hat für dieses Buch zunächst eine große Szenerie gebaut – er baut um den Wissenschaftler Andersen und seinem Androiden eine Gesellschaft auf, die er ab und an nach Tirol transferiert und persönliche Beziehungen Stück für Stück lustspielartig verflechtet, um später genug Konfliktpotential für das Thema Mensch versus Maschine zu haben. Gilbert fühlte sich verpflichtet, technisch so korrekt als möglich zu arbeiten und baut daher viele Erklärungen rund um den Androiden ein, das oft zum Leidwesen der Handlung geschieht: Das Eigenleben des Androiden startet erst weit nach der Hälfte des Buches.

    Science-Fiction begeisterte Leser:innen werden diesen Text weniger gern lesen als Menschen, die historisch interessiert sind. Denn: Der Roman ist mit Sicherheit als Gleichnis zu den herannahenden Weltkriegen zu lesen, Gilbert baut über mehrere Seiten ein düsteres Szenario auf und übt Kritik an der antisemitischen Stimmung, die erst nach seinem Tod 1932 eskalierte:

    Vom Einsiedlerkrebs angefangen, der die leere Schneckenschale zu seinem Gehäuse macht, bis zum Arier, der im androidalen Wunderwerk des Juden aus Nazareth sich wohnlich eingerichtet, sich gebärdet, als ob er der Christ wäre, er allein der Erlösungswürdige, das Kind Gottes, der Lohn des Menschen! Vor allem natürlich er, die imperialistische Rasse!

    Gleichsam hat Leo Gilbert in seinem Text die Ideologie des Antisemitismus eingebaut und gibt sie satirisch anhand seiner Upperclass-Gesellschaft wieder. Als Leser:in vermisst man die Geschichte des mittellosen Dieners des Wissenschaftlers, die angeklungen, aber nie ausgespielt wurde. Kritiker der Künstlichen Intelligenz werden in diesem Buch ihren Beleg für die Limitierung der KI finden. Zum Nachdenken regt dieses Werk jedenfalls an und verständlich, dass Dr. Riemer dieses Buch mit genau dieser Idee in Zeiten von Chat-GPT, Midjourney oder DALL-E einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machen wollte.

    Die Frage, wie weit wir tatsächlich von komplett funktionierenden Androiden entfernt sind, wird die Zukunft erst beantworten können.

    Information | Leo Gilbert | Seine Exzellenz der Android | Hardcover | 320 Seiten | 9783949671067 | Edition W | Westend Verlag | 25 Euro

    Ein Dankeschön an den Verlag für das Rezensionsexemplar.

  • [Rezension] Ana Wetherall-Grujić: Das Baby ist nicht das verdammte Problem

    [Rezension] Ana Wetherall-Grujić: Das Baby ist nicht das verdammte Problem

    Glücksdruck auf Mütter ist aber nicht nur respektlos, er ist auch selbstsüchtig.

    Ana ist erfolgreiche Journalistin und jede noch so hohe Welle, die bisher in den Medien aufgetaucht ist (damals als Schreibende bei der Tageszeitung Standard) hat sie meisterlich gestemmt, gut argumentiert, noch besser dagegen angeschrieben. Dass ausgerechnet Mutter werden und Mutter sein dasjenige sein wird, dass ihr Leben so verändert, dass es sich anfühlt als drehe sich ein Wind um 180 Grad, damit hatte sie nicht gerechnet. Genauso wenig, dass sie mit mancher Ratlosigkeit zurückgelassen wird und genauso oft versucht wird, ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen, mit Sprüchen über Mutterschaft und Kindeserziehung. Es lässt die Autorin wütend zurück, indem sie argumentiert:

    Das Baby ist nicht das verdammte Problem

    Der Druck auf Mütter, alles richtig zu machen, ist enorm. Das fängt an bei den Untersuchungen und Geburtsvorbereitungen, das geht weiter zur Streitfrage ob Vaginale Geburt oder Kaiserschnitt, und setzt sich beim Wochenbett, der Karenz usw. fort. Wetherall-Grujić blickt hinter die Fassade des angeblichen Mutterglücks und schreibt in 23 Kapitel kolumnenhafte Einblicke in das Leben einer jungen Mutter. Sie klärt zunächst die Frage, warum es noch ein Buch über Mutterschaft braucht, geht weiter zu Themen wie medizinischer Versorgung von Schwangeren in Österreich, Hebammenverhalten und der Diskussion, ob ein Kaiserschnitt- oder Flaschenbabys wirklich einen Nachteil haben, wenn sie nicht auf natürlichem Wege zu Welt kommen dürfen oder nicht gestillt werden (können).  Egal, ob es der Wiedereinstieg in den Beruf oder Glücklichsein mit Baby – Wetherall-Grujić nimmt den Druck heraus und erklärt, was Mütter müssen: Nämlich per se mal gar nichts, was von der Gesellschaft aufoktroyiert wird. Das ist mutig und gerechtfertigt gleichermaßen, nimmt der Druck auf Mütter gegenwärtig noch weiter zu: Mittlerweile weiß man, dass Frauen in Österreich Care Arbeit im Wert von 108 Milliarden Euro leisten, und diese Arbeit als 27 Prozent der Wirtschaftsleistung gerechnet werden kann. Diese Arbeit wird unbezahlt geleistet und Frauen schultern das, ohne nennenswerten Benefit – ganz im Gegenteil: Aufgrund der hohen Teilzeitquote rutschen viele im Alter in Armut, sechs von zehn Frauen gelten in der Pension als armutsgefährdet.

    Nicht zu vergessen sind auch neuere Rückentwicklungen, bei der die Pandemie einen Teil dazu beigetragen hat, in rückwärtige Betreuungsmodelle zu migrieren: während die tägliche Kinderbetreuungszeit bei Frauen 7 Stunden pro Tag betrug, kamen Männer zur Zeit der Pandemie auf knappe 3 Stunden. Die Zahl ist seitdem nicht mehr auf den Zustand vor der Pandemie gesunken.

    Wetherall-Grujić hadert selbst damit, in den Beruf zurückzukehren, ihren Job mit den neuen Verpflichtungen in Einklang zu bringen und schreibt auch über die Schwierigkeit, eine arbeitende Mutter zu sein in einer Gesellschaft, in der die Mütter schnell mal Rabenmütter sind, wenn sie auch mal ein bisschen an sich denken:

    Das Beste für das Baby darf niemals auf Kosten der Mutter geschehen.

    Die Autorin macht klar, dass es dem Kind nur gut gehen kann, wenn es der Mutter gut geht. Im sozialen Gefüge muss sich noch viel ändern, damit die Mutter nicht eine Projektionsfläche für die eigenen Ansprüche wird. Auch wenn Mütter wenig Zeit zum Lesen haben, wird ihnen dieses 192 Seiten dünne Büchlein in Klappenbroschur gefallen:  Die einzelnen Kapitel lesen sich wie im Flug, man hat seinen Spaß dabei, weil Vieles zynisch, sarkastisch geschrieben ist, man wird wütend genauso, wie einsichtig. Der Wind trägt die Botschaften auch zu kinderlosen Leser:innen. Sie bekommen vor allem neue Einblicke in die medizinische Versorgung schwangerer Personen und Einblicke, wie es befreundeten Menschen geht, wenn sie gerade ein Kind bekommen haben und wie man unterstützen kann. Auch hier lässt Wetherall-Grujić keine Lücke und reflektiert sich selbst: Sie selbst sieht nun, was sie alles vor dem Baby nicht wahrgenommen hat, als sie Kontakt mit Freundinnen hatte und sei es: viel zu enge Cafés mit keinem Platz für Kinderwägen.

    „Das Baby ist nicht das verdammte Problem. Ein Handbuch für die glückliche Mutter“ trägt nicht nur Mütter durch eine neue, aufregende, anstrengende Zeit, sondern auch den Wind der Veränderung mit sich: Geht’s den Müttern gut, geht’s der Gesellschaft besser.

    [Informationen] Ana Wetherall-Grujić: Das Baby ist nicht das verdammte Problem. Ein Handbuch für die glückliche Mutter. Kremayr-Scheriau. 192 Seiten. Klappenbroschur. ISBN: 978-3-218-01394-9. 24 €.

    Danke an den Verlag für das Rezensionsexemplar.

    „Das Baby ist nicht das verdammte Problem. Ein Handbuch für die glückliche Mutter“ trägt nicht nur Mütter durch eine neue, aufregende, anstrengende Zeit, sondern auch den Wind der Veränderung mit sich: Geht’s den Müttern gut, geht’s der Gesellschaft besser.

  • [Litrobona Rezension] Cornelia Hülmbauer: oft manchmal nie

    [Litrobona Rezension] Cornelia Hülmbauer: oft manchmal nie

    vor dem haus gab es zwei fahnenstangen mit fahnen der automarke. eines nachts fuhr jemand betrunken gegen eine der beiden. sie knickte um und fiel auf den asphalt. der bruder lag im nebenzimmer und wurde nicht wach. Manch wehmütigen, als auch schmerzenden Blick auf die Kindheit und Jugend am […]

    Pro-Heimat, Anti-Dorf: Cornelia Hülmbauers Oft, manchmal, nie — litrobona