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Hundertsechsundzwanzig Stunden.

Wenn du weg bist, sieht alles verwaschen aus. Die Wohnung, in der wir leben, der Himmel, wie ein Himmel von Manet, wie rote Frauen von Garache. Da ist diese, deine braune Tasche auf dem Bett, ein Teller voller Krümel, deine Schuhe. Da ist dein Durst letzter Nacht noch sichtbar, eine ausgetrunkene Wasserflasche, womöglich eine zweite unter dem Bett. Da ist das Fenster, das von letzter Nacht erzählt, als man betrunkene Jugendliche vorbeilaufen hörte und um vier Uhr morgens die Müllabfuhr. Da ist irgendwo über, unter, neben dir Musik aus den Neunzigern, die jeder kennt und niemand mehr hört. Halbschlaf, tiefer Schlaf, Viertelschlaf, auf der einen und der anderen Seiten, ein guter Gedanke, Albtraum, Sehnsucht nach Morgen. Es ist leer, wenn du gehst, und doch so voll, wenn du kommst. Zahnbürste, Seife, Zahnbürste, rotes Handtuch, irgendwo ein blaues, Löffel, Tisch, Tüte, Bett. Das Wetter meint es gut mit dir, und doch ist immer wieder Weltuntergang, wenn du gehst. Heute ist das Wetter blau, rot und lila, und manchmal ein bisschen weiß, von den Wolken, die mehr gesehen haben, als ich an manchen Tagen. Überall nichts, überall Welt, hier ein Universum und da ein Planet. Planetenbahn, Autobahn, Bahnhaltestelle.

Du magst Bahnhaltestellen, aber nur wenn sie ästhetisch sind. Alt und ästhetisch oder neu und ästhetisch, es spielt keine Rolle. Ästhetisch und echt. Aber das Echte lässt sich so schlecht finden, sagst du immer. Eingepfercht in einem Lebensgefühl, das so gar nicht passt. Wir sehen so ästhetisch aus, wenn wir in den Park gehen, auf den Kinderspielplatz, Schaukel an Schaukel mit Bier, keine Kinder, viele Kinder, wir sind Kinder. Hast du dich gefragt, was ich mich gefragt hab. Hast du was gesagt, und ja und ja und nein und nein und hundertmal ein Brummen und Okay.

Heute ist Postkartenwetter, eine Stadt, dahinter ein Feld. Bist du schon lange wach und ein Mhm. Deine Stimme zerläuft, sie ist anders als sonst, tiefer, sonorer, wie ein Haselnusskaffee aus dem Automaten. Ein Schulterzucken auf deine Frage, ein Blick in deine Richtung, ein Alles und ein Nichts, es bleibt beim Nichts. Ob sich heute schon wer gemeldet hat, zwei Anrufe, drei Nachrichten, auf deinem Telefon weiß ich nicht, schau selbst. Da ein Anruf, da eine Nachricht, verschlafene Augen, verwaschener Mund, ein Mundwinkel zieht sich schwach nach oben, der andere noch neutral, er entscheidet noch, was für ein Tag heute wird.

Heute ist Markt, ich gehe alleine, du schläfst. Lachsfarbene Häuser, gelbe Häuser, kaputte Fassaden, Fassade, Hülle, Oberfläche, Maske, mein Gesicht. Sonnenschein, verhalten, eine Sommersprosse, dann die nächste Sommersprosse, Fischmarkt, mehr Muscheln als Fische. Zuviel Geruch für den Morgen, da eine Bäckerei, Post, eierschalenfarbene Fassaden, kein Kaffee, du schläfst.

126 Stunden bis alles wieder anders ist. Heute lachst du viel, du lachst heute so als wärst du der Herbst. Herbst ist meine Lieblingsjahreszeit. Es ist nun dein Lachen. Du bist schön anzusehen, wenn du lachst, in dein Telefon hinein, eine Welt, du bist mit Kopfhörern verbunden. Manchmal bist du eine eigene Welt, umgedreht zur Wand, zwischen Buch und Musik oder Fernsehen. In 119 Stunden wirst du schlafen gehen, von einer Welt träumen, die du zuvor im Kino gesehen hast. Schnelle Welt, gute Welt.

Ob 126 Stunden genug sind, habe ich mich fragen hören, in den Innenhof hinein. Ob du dann bei mir bleibst, trotz allem, habe ich mich schweigen hören. Innenhof, rote Hängematte, zwei Kammern, frische Wäsche, schlechte Musik über den anderen Innenhof, stöhnende Frau von Osten, Schatten, Holzbank, Fragen.

Ich habe dir nie erzählen können, wie das ist, wenn du gehst. Da ist dein Ladekabel, und es ist das, woran ich mich klammere. Dass du da bleibst, weil dein Ladekabel da ist und deine Bücher und du gehst nicht ohne deine Bücher. Der Raum riecht nach dir, er riecht nach deinen Hoffnungen, deinen ungesagten Gefühlsregungen. Ich will dir etwas hinterlassen. Etwas, dass du hast, wenn ich gehe. Ein Foto. Auf deiner Kamera. Ich fotografiere mich. Im Spiegel. Ernst. Angestrengt. Du sagst ich schaue angestrengt, ich sage, du siehst müde aus. Wir sind müde und angestrengt. Müde des Lebens, angestrengt vom gegenseitigem Ablösen. Du fehlst.

Ich bin zurück und das Wetter ist anderswo prächtig habe ich dich sagen hören. Ich bin noch da will ich mich sagen hören. Dem Drang widerstehen, wegzulaufen, wir besteigen Berge. Im Garten hier ist es schön, sagst du mir und du willst auch ein Haus mit Garten und malen und existieren. Ich will auch ein Haus mit Garten, aber lieber eine Altbauwohnung mit Balkon, wir verlaufen konträr.

Bist du noch wach, bist du noch da, schweige ich dir im Schlaf entgegen. Im Mondlicht das angekettete Fahrrad bewundern, die ganze Woche stand es da. Du hast es auch bemerkt. Ich liege alleine, du bist nicht da, du bist nicht wach. Du bist fern, weiter als sonst. Ich höre dich reden und träumen, die Welt dort ist soviel schöner als hier. Ich werde dir nicht fehlen.

Bildnachweis.

[Sterbenswörtchen]: Jennifer Düing.

Wer sind die großartigen Autor/-innen, die hie und da ein Sterbenswörtchen verlieren? Mein Gast für den Monat April ist Jennifer Düing, vielen bekannt als @nachtblau und @goldmomente von Twitter. Jennifer bezeichnet sich selbst als Poesietwitterin und mag Kultur, Ballett und kleine, wunderbare, subtile Dinge. Zurzeit arbeitet Jennifer beim Festspielhaus Baden-Baden als Internetmanagerin – der Kunst den Vorrang gegeben, ist Jennifer aber ebenso eine grandiose Sozialarbeiterin mit viel Herz.  Ihr derzeitiges Projekt Postkartenautorin liegt ihr sehr am Herzen – schon bald wird es ein Poesie-Postkarten-Abo geben. Menschen, die so sehr am Leben hängen, so viele Farben finden für all die Dinge, die man später schmerzlich vermisst, für den täglichen Optimismus, den man liest, müssen auch zum Thema Tod und Sterben befragt werden:

 

Was bedeutet Tod für dein Schreiben?

Wenn ich an den Tod denke, kommt mir oft die Zeit in den Sinn, als ich anfing auf Twitter zu schreiben. Damals arbeitete ich mit alten Menschen. Das war eine schöne, wenn auch fordernde Arbeit, besonders fordernd war die Allgegenwärtigkeit des Todes.

Einer meiner Lieblingstweets schrieb ich damals:

Heut lernte ich eine Frau kennen, die auf alles eine Antwort hatte: ‘Nein.’

Wenige Tage später starb diese Frau, die sich zuvor nicht mehr anders als mit diesem einem Wort ausdrücken konnte, das aber alles bedeuten konnte.

Schreiben bedeutet für mich in diesem Zusammenhang erinnern. Erinnern, an den Menschen, den ich traf, der jetzt nicht mehr da ist.


Wie politisch ist der Tod?
Für mich ist der Tod weniger ein politisches Thema, als vielmehr ein persönliches. Der Tod hat für den Mensch, der gegangen ist, keine Bedeutung mehr. Nur für die, die noch leben, hat es große Auswirkungen. Sie müssen damit umgehen. Sie müssen damit leben, dass nun jemand fehlt. Und dieser Prozess des Umgangs ist sehr persönlich.

Der Tod sollte allerdings ethisch sein. Wenn er nicht ethisch stattfindet, seit es durch Gewalt oder Unterlassung von Hilfe, dann ist auch der Tod politisch.

 

Wie wirkt der Tod in sozialen Medien?
Der Umgang mit dem Tod wandelt sich, insbesondere die Art zu trauern. Es gibt Menschen, die ich durch Twitter kennenlernte und so an ihrem Leben teilhaben kann und manchmal auch ihren Tod vernahm. Was ich merke, ist, dass mir der Abschied schwerer fällt. Das Facebook-Profil wird immer wieder beschrieben. Verlinkungen tauchen auf. Tweets werden retweetet. Dadurch bleibt der Verlust des Menschen allgegenwärtig und das Verblassen der Erinnerungen ziemlich schwer.

 

Was bleibt von Menschen, wenn sie nicht mehr sind?

Was bleibt ist immer die Erinnerung. Erinnerungen an Begegnungen, Gespräche, Berührungen. Erinnerungen, ans gemeinsames Lachen und Kuchen essen. Erinnerungen, an die letzten Worte, die gewechselt wurden. Und was bleibt bin ich selbst, der eben diese Erinnerungen am Leben erhalten kann.

 

Was bleibt, wenn du gehst? Was geht, wenn du bleibst?

Alles bleibt, wenn ich gehe – nur nicht ich. Meine Worte bleiben. Die Farben bleiben. Die Menschen bleiben. Selbst meine Liebe bleibt.

Was geht, ist die Zukunft. Die gibt es dann nicht mehr.

 

Welches Kunstwerk (Buch, Musik, Film, Text, Bild) drückt den Tod am besten aus?
Ein Film, der mich immer an den Tod erinnert ist “Hinter dem Horizont”. Eine Frau leidet an Depressionen, bringt sich selbst um und landet dann in der Hölle, welches ein von ihr gemaltes Bild ist. Ihr Mann, der sie über alles liebt, möchte sie retten und begibt sich auf die Suche nach ihr, und obwohl es niemand glaubt, findet er sie. Ihre Welt ist so verdunkelt durch Selbsthass, dass es ihr nicht mehr möglich ist, ihn zu erkennen. Erst durch die Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse dringt er zu ihr durch – und kann sie so aus der Hölle begleiten.

Ja, etwas plakativ, jedoch machte mir der Film sehr deutlich welche Rolle Erinnerungen und gemeinsame Erlebnisse im Leben spielen. Es ist das, was verbindet – über den Tod hinaus.

 

Wie viele Tode kann man sterben?
“Da bin ich 1.000 Tode gestorben” wie häufig habe ich das schon gesagt, wenngleich ich weiß, dass es nur einen Tod gibt, den ich irgendwann sterben werde. Und doch, kleine Tode bin ich schon oft gestorben, nicht nur, wenn ich Angst überwunden habe, auch wenn ich etwas hinter mir ließ, ganz besonders, wenn es mir viel bedeutet hat. Denn das Sterben ist am Ende ein großes Loslassen.

 

Welchen Zustand hat der Tod?

Der Tod ist endlich. Das Ende vom Leben. Tod ist der Übergang, in etwas, was nicht mehr ist.

 

Inwieweit beeinflusst der Glaube/Nichtglaube den Tod?
Als ich mit den alten Damen und Herren gearbeitet habe, spielte Glaube oft eine Rolle. Sie erzählten Geschichten aus früheren Zeiten und schlossen mit dem Leben langsam ab. Dieses Reden half, denn offene Themen konnte so Ruhe finden. Und das waren die Momente, in denen Glaube half, zu glauben, dass das alles Sinn macht, dass das Leben Sinn hat und dass es einen Plan gibt – vielleicht auch über den Tod hinaus. Manche Menschen beruhigte das.

 

Was bedürfe einer Änderung in der Welt bevor man geht?

Ganz persönlich gesehen ist für mich wichtig, am Abend ins Bett zu gehen und zu wissen und zu fühlen, dass das ein Tag war, der gut war, so wie er war. Natürlich ist das nicht tagtäglich möglich und doch habe ich mir gesagt, dass die Tage weniger Alltag und mehr Leben sein sollte. Wie das Leben zu füllen ist, muss allerdings jeder für sich beantworten. Und wenn jeder für sich sein Leben so gestaltet, dass er damit zufrieden ist, sind wir schon ein ganzes Stück weiter diese Welt lebenswert zu machen.

 

 

Danke für das Interview, Jennifer!

 

Jennifer im Internet: Postkartenautorin / Postkartenautorin auf Instagram / twitter /  Postkartenautorin auf facebook / Nachtblau – Twitter

Bist du noch bei mir
oder fackelst du andere an
mit deinem Lächeln
magst du Bier
oder vom Leben kosten?
Bring lieber den Wein mit
und ich die Geschichten
mal den Mond an
oder die leeren Wände
braten wir uns Fische
bevor sie ostwärts gehen

Wirst du noch bei mir
oder rennst du lieber weg
mit deinen Augen
magst du glühen
oder lieber gleich verbrennen?
Ich bring mich mit
ich hab mich zu verschenken
Menschen, das sind alles Tonnen
für Gefühle, Angst und Bier
laufen wir einfach weg
es wird uns nichts geschehen

Liegst du noch bei mir
oder schläfst du lieber weg
mit deinen Träumen
magst du erzählen
oder lieber schreien?
Bringen wir Hoffnung mit
und bitte Geduld von den Eseln
was kann uns schon passieren
bloß Momente sind unendlich
nimm meine bloß meine Hand
dann werden wir was erleben

BILDQUELLE

Stell´ den Salzstreuer
über den Pefferstreuer
und umgekehrt
pflanz´doch Worte ein
oder Briefe
pack mir ein Wunder ein
und gib’s mir mit auf die Reise
verbau mir alles
mit Sicherheiten
und links und rechts
zählen wir Leberflecke
zeigen Narben
schmieren sie als hässliche Bilder
an die Wand
nimm einen Bleistift
streich doch die Ängste durch
aus deinem Leben
greif ich mir die Gedichte
und die Ungewissheiten
doppelter Wortwert
bei Herzverzehrung
Planbruchstellen
eingeschlossen
am Leben drehen
wie am Lautsprecherknopf
was fragst du mich
ob wir Lieder oder Liebe
hören.

BILDQUELLE

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