Kategorie: Allgemein

  • Schneeflocken.

    Die Schneeflocken treiben, so wie wir. Mit der Zeit, in den Momente, wir halten fest, uns fest, an uns, an dem letzten Funken Hoffnung, der sich gerade entschieden hat, die Welt ruhen zu lassen und weiß einzuhüllen. Wir haben uns hier hingelegt, dem Schnee schauten wir zu, wie er bedächtig auf das große Dachfenster fiel, kurz blieb, und dann schmelzte, weil die warme Luft des nahegelegenen Ofens die Scheiben zu sehr wärmte. Das Grau des Himmels vermischte sich bereits mit Blautönen, bald würde es dunkelblau sein, bald schwarz. Wir haben uns in Decken gehüllt, wir wollten zusehen, wie das Grau geht, wie die Schneeflocken auch uns bedecken. Eigentlich bräuchten wir keine Kuscheldecken, der Raum so warm, die alten Schwedenöfen hatten schon immer gut geheizt, du hattest vorhin ordentlich nachgelegt. Da war der Himmel noch hellblau, nun war er grau, es schien, als hätten die Schneeflocken eine anstrengende Reise hinter sich. Wir ruhten, wir schmolzen dahin, unser Nachbar übte wieder Klavier, er war gut. Niemand sprach, die Welt war laut genug. Wenn man leise genug war, hörte man die Schneeflocken auf die Scheiben fallen, es klang, als würden sie uns einen guten Abend wünschen wollen. Der Boden knarrte, weil er an Feuchtigkeit verlor, neben uns lag die Katze, die schnurrte und langsam in den Schlaf versank. Die Sonate hatten wir schon oft gehört, es war uns auch ein Lieblingsstück geworden, jedes Mal klang sie ein bisschen schöner, ein bisschen vertrauter, ein bisschen mehr erzählte sie davon, dass wir endlich da waren, wo wir immer hin wollten. Der Teekocher brodelte bedächtig hin, bald würde wohl das Wasser heiß genug sein, die Tassen hatte ich schon bereit gestellt, den Tee in die Teekanne getan. Sie warteten. Wie wir, die nebeneinander lagen, und nach außen starrten, wie die Schneeflocken langsam die Scheiben kühlten und liegen blieben, sich ausruhten. Der dritte Satz war Adagio, auch unser Nachbar ruhte sich gerade aus. Das Wasser war heiß genug, bedächtig hielt ich inne, den Moment wollte ich nicht zerstören. Die Ruhe hatte sich unsere Adresse gemerkt. Wir langen zu viert im Bett, du, die Katze, die sich mittlerweile neben dich gelegt hatte, die Ruhe und ich. Die Schneeflocken beobachteten uns, sie blieben auf der Fensterscheibe liegen, und starrten auf uns. Du hattest hart gearbeitet, du sahst so müde aus. Ich rollte mich leise aus dem Bett, tapste leise in die Küche, bereitete den Tee zu. Deine Lieblingstasse hatte schon einige Blessuren erlitten, oben hatte sie einen Sprung. Mehrmals war sie schon runtergefallen, nie kaputt geworden. Den Tee trankest du nur aus dieser Tasse, weil du meintest, der Tee entfalte in dieser Tasse sein optimales Aroma, ich schmunzelte darüber jedes Mal. Ich goss den Tee zunächst in Kanne, das Teesieb quoll auf, der Geruch verbreitete sich allmählich im Raum, meine Augen glitten schnell an die Wand, ich beobachtete den Sekundenzeiger, wie er leise tickte und mir verrieten, dass ich noch 3 Minuten zu warten hatte. Im Hof hatte sich auch schon etwas Schnee angesammelt, ich sah eine Frau, die das Fenster offen hatte, und rauchend ein Telefonat erledigte. Auf dem Fensterbrett sammelte sich etwas Schnee. Morgen würde die Katze wieder ehrfürchtig vorsichtig eine Pfote in den Schnee drücken, dann Schritt für Schritt in den Schnee setzen. Jedes Jahr konnte sie sich nicht daran erinnern, dass wir auch schon letztes Jahr Schnee hatten, und sie entdeckte ihn jedes Jahr neu. Wir taten es ihr ähnlich, jedes Jahr war der erste Schnee wie ein Wunder, jede Schneeflocke so einzigartig, Staunen um Staunen. Vorsichtig goss ich den Tee in die Tassen, stellte die Kanne auf ihren Untersetzer, nahm die Tassen und schlich zurück zum Dachfenster, dass nun zu erkennen gab, dass das Dunkelblau bereits auf Besuch gekommen war. Gekrümmt lagst du nun da, du warst eingeschlafen. Ich setzte mich in den Ohrensessel, die Teetassen stellte ich auf den Nebentisch.

    Mr. Darcy wartete bereits in Derbyshire auf mich.

  • Rucksack und Bahnhof.

    Wir sitzen hier, an jenem Bahnhof, der unser Anfang war. Du warst damals gekommen und ich habe dich abgeholt. Dir kam kein Satz über die Lippen, du hast mich nur groß angesehen. Heute siehst du mich genauso groß an und sagst nicht. Wir sitzen hier, auf dieser Bank und die Kälte ist spürbar und lässt mich mindestens genauso erzittern, wie die Gedanken, die in meinem Kopf herumkreisen. Du sagst nichts. Du beißt nur auf deinen Lippen herum, damit man das Beben nicht sieht, das deine Lippen sonst von sich geben würden. Ich kann dich nicht ansehen, nicht mehr und starre deswegen auf meine Schuhe, die sich genauso mitgenommen fühlen wie ich. Dein Kopf bewegt sich langsam und du blickst mich an, mit diesem Blick, den du immer hast, wenn du etwas bereust. Ich brauche dich nicht ansehen, weil ich weiß, wie deine Augen an mir hängenbleiben. Deine Augen werden leer sein, und ich würde mir die Schuld geben, weil ich sie nie füllen konnte mit dieser Begeisterung, die du so selten zeigst. Ich weiß auch, dass deine Augen glasig sind, weil du das Weinen unterdrückst, so wie du alles unterdrückst, weil du Angst hast, dass man es gegen dich verwenden könnte. Wir sitzen hier und wir haben uns nichts zu sagen. Wir haben so viele Geschichten erfunden, wir haben uns das Blaue vom Himmel erzählt und nun sind uns die Worte ausgegangen. Die Lügen haben wir uns jedes Mal aufs Neue aufgetischt und wir haben sie satt. Deine Hände hast du in der Jacke zu Fäusten geballt, weil du so wütend auf das Leben bist. Dein Blick wandert zu deinen Füßen, die nervös hin und her wippen. Meine Pupillen weiten sich, als ich sehe, dass dir nun langsam die Tränen an den Wangen hinunterrollen. Ich muss mich räuspern.

    Meine Stimmbänder wollen sich bewegen, doch mehr als verächtliches Schnauben schaffe ich in diesem Moment nicht. Ich möchte dich fragen, warum es soviel gibt, dass ich nicht verstehe kann und ich weiß, dass du es mir nicht beantworten kannst. Wir haben uns durch den Parcour der Unverständlichkeiten immer halbwegs gut durchgeschlängelt, nur den Drahtseilakt haben wir nie geschafft. Wir waren beide nicht sonderlich gute Seiltänzer gewesen, wir haben uns lieber einen Strick daraus gedreht.

    „Ich hab´ meinen Regenschirm zuhause vergessen“, gebe ich heiser von mir.

    Wir sitzen hier, während der Zug sich langsam dem Bahnsteig nähert. Meinen Rucksack voller Erinnerungen habe ich mir hastig auf den Rücken gehievt, dem ganzen Ballast, den ich mir aufgeladen habe, habe ich reingestopft, aber ich wollte nichts bei dir lassen, weil ich Angst habe, dass ich dich vergesse. Viel zu schnell springe ich auf, weil ich weg will, nicht weg von dir. Du erhebst dich langsam und starrst auf den Zug. Ich weiß, dass du nicht willst, dass ich einsteige. Mit dem Rucksack auf dem Rücken bewege ich mich steif zu dir und gebe dir einen Kuss auf die Stirn, weil das alles ist, was ich dir hier lassen kann.

  • 1. Akt, 1.Szene.

    Es hatte den ganzen Tag geregnet, der Nebel zog langsam auf und verdichtete die Stadt. Unsichtbar.

    Erschöpft zog sie sich ihre Kleidung aus, warf sie ungalant auf den Boden und schob sie in eine Ecke. Die schwarzen Augenränder im Spiegel erzählten ihr von ihrem anstrengenden Leben, dass sie führte, aber nicht für sie selbst. Für die Welt da draußen, das war ihr erst vor Kurzem das erste Mal bewusst geworden. Sie führte das Leben für andere. Das Leben war ihr zur Last geworden, wie der Nebel befand sie sich im Dunstkreis der Alltäglichkeiten, und nichts, wirklich nichts half, das Grau vom Boden aufzuheben. Sie lebte, aber immer für andere, manchmal mit anderen, manchmal unter anderem, nie für sich selbst.

    Langsam zog sie die Spuren nach, die die Kleidung an ihrem Körper tagsüber hinterlassen hatte. Sie hatte das Gefühl, als ob ihr eigener Körper eine Metapher für ihr Leben geworden war. Gequält betrachtete sie sich im Spiegel. Wie oft zwang sie sich in eine Form, die nicht passte, nur damit sie anderen gefallen konnte? Manche Einschnitte der Kleidung hatten rötliche Linien hinterlassen. Ihr Leben passte in das Leben der anderen, nicht umgekehrt. Sie seufzte.

    Bedächtig zog sie zuerst ein Top an, streifte es zurecht und schlüpfte in ihren Pullover. Warum konnte das Leben nicht wie der Lieblingspullover sein? Gemütlich, immer wieder verwendbar, vertraut. Das Leben war jedoch wie die neue Jeans, die nach jedem Waschgang drückte, schlecht zu bügeln war und im Endeffekt doch nie optimal passte. Sie schnappte sich ihre Leggings und zog sie allmählich an sich hoch. Die Socken streifte sie an ihrem Bund darüber. Das Leben war ihr schuldig geblieben so zu sein wie Socken, das Leben war kein treuer Begleiter, es hatte selten etwas Wärmendes, und es gestattete sich in den meisten Lebensphasen überschätzt zu werden.

    Behäbig legte sie sich in ihr Bett. Das Leben kannte keine Entspannung und Ruhezeiten schon gar nicht. Die meisten Menschen verstanden Globalisierung auch nur so, dass sich die Welt immer um sie dreht, und hatte die Welt aufgehört, sich zu drehen, drehten die Leute durch.

    Das Leben hatte keinen weichen Boden wie Matratzen, der Boden der Tatsachen war weit aus härter. Betten rochen gut, Betten rochen nach vertrauten Menschen, das Leben roch jedoch vor allem nach abgestandener, heißer Luft, die Menschen von sich gegeben hatten. Das Leben hatte die Angewohnheit nach der Scheiße zu stinken, die Menschen tagtäglich von sich gaben und sich dann wunderten, dass sie knöcheltief in dieser standen.

    Sie grub sich in die Kissen ein und zog die Decke hoch. Angenehme Müdigkeit erfasst ihren Körper. Gravitätisch atmete sie ein und wieder aus. Erschöpfung hatte sich in ihrem Körper breit gemacht, das Leben war zur Verantwortung zu ziehen. Nichts erschöpfte mehr als Leben, es war mitunter nur die bloße Existenz, die sie erschlaffen ließ. Es war vielleicht nicht mal die bloße Existenz, es waren die anderen Menschen. Sie übten sich vor allem in Mund voll nehmen. Die Menschen fanden mittlerweile alles im Internet, nur sich selbst zu finden war zur Sisyphus-Aufgabe geworden. Das Wissen, dass man sich selbst nicht zurückgeben konnte, dass man eine lebenslange Garantie für sich selbst hat, und sich nie umtauschen konnte, zermürbte die anderen wohl mehr als sie. Sie hatte in diesem Punkt schon längst resigniert.

    Die Augen fielen allmählich zu, ihren Körper rollte sie zusammen.

    Pause.