Autor: katkaesk

  • [rezension] Langeweile // Isabella Feimer

    [rezension] Langeweile // Isabella Feimer

    Poetisch und überlegt, begibt sich Isabella Feimer auf die Suche nach der Langeweile. Ein gefürchtetes Unding, häufig gepaart mit Warten und Stille, passt es so gar nicht in eine Welt, die sich an Produktivität und Optimierung misst. Langeweile sucht sich im Dunkeln, wenn sie mit Wehmut und Isolation ein Gespann bildet und entdeckt sich im flirrenden Hell, wenn Mensch sich wonnig einer vorbeiziehenden Landschaft ergötzt.

    Zwischen Buchdeckeln in taubengraulila (fast schon „käferkörpergrau“) erliest Mensch sich eine Recherche, dass das Gute und Schlechte im „acedia“ sucht (= Nichtstunwollen), ebenso wie sehnsüchtige Langeweile, die darin gipfelt, dass Frauen klischeehaft schwermütig aus dem Fenster sehen.

    Die Autorin scheut die Auseinandersetzung mit der Langeweile nicht, sie setzt sich einem Selbstversuch nach einer Idee der Performancekünstlerin Marina Abramović aus. In Achtsamkeit übend, trennt sie zählend Reis von Linsen. Ein Versuch, zu erahnen, was das sein könnte, diese Langeweile, die wir zu wenig verspüren. Gelungen, wenn ein geschärfter Blick und eine komplette Koppelung zur Gegenwärtigkeit einzig übrigbleiben.

    Langeweile erweist sich als komplexes, schwieriges Thema, das die Autorin ebenso literarisch verarbeitet:

    BEFANGENHEIT UND EIN VERKÜMMERN NACH BEDEUTUNG UND NACH SINN, DAS SAGE ICH, EIN KÖRPER, DER SEINE MÄNGEL IST, FEDERLEICHT UND BLEISCHWER ZUGLEICH, UND EINE LANDSCHAFT, UNSICHER, OB SIE AUCH TATSÄCHLICH EINE LANDSCHAFT IST,

    WEIL
    EINSAM
    SCHATTENLOS KONTURENFERN
    WEIL
    „SICK WITH LONELINESS“ WEIL ALLES NICHTS IST UND ALL SEEMS LOST.

    Langeweile // Isabella Feimer S. 66

    Auch die Pandemie wird zum Thema gemacht, in der sich viele in das Selbst zurückgeworfen sahen und ein von Lockdown-bestimmtes Leben führen mussten. Gehäuft zitatgeladen und auffällig der Poesie verschrieben, nimmt das Buch lyrikbegeistertes Lesepublikum auf eine anregend philosophische Reise mit. Der Weg schlängelt sich unbeirrt zwischen Boreout Syndrom, in dem sich Langeweile gern mit Aggression paart, der Frage, ob Tiere der Langeweile mächtig seien und dem lustvollen, schmerzlichen Gefühl der Leere.

    Eine Frage wirft dieser Band unweigerlich auf:

    Kann man ein Buch über Langeweile schreiben, ohne dass es langweilig zu lesen wird?

    Die Antwort: Feimer kann. Songtexte von Iggy Pop und Lionel Richie fügen sich nahtlos an Zitate von Walter Benjamin, Martin Heidegger, Virginia Woolf oder Hannah Arendt und philosophisches Grundlagenwerk zum Thema. Langweilig wird die Lektüre jedenfalls nicht.

    [Information] Isabella Feimer: Langeweile. Kremayr & Scheriau. 112 Seiten. ISBN: 978-3-218-01317-8, 18 Euro.

  • Ein ganz und gar grandioses Lesejahr

    2021 war schwierig, aber was es hervorgebracht hat: Großartige Texte und Bücher. Die Lockdowns wurden damit erträglich, den mit Büchern fühlt man sich nie komplett alleine. Hier ist meine Leseliste für dieses Jahr:

  • [rezension] Martin Peichl | Matthias Ledwinka – Gespenster zählen

    Wie zählt man Gespenster, willst du wissen, ganz normal, sage ich, man fängt bei eins an, dann zwei und so weiter. Wie immer, wenn du meine Wohnung verlässt, nimmst du die Treppen, dem Lift traust du nicht, schon gar keine fünf Stockwerke lang.

    Gespenster, das sind: gesammelte Fragmente verlorener Menschen, Glaubenssätze, Songtexte, Gedichtzeilen, Erinnerungen, entledigte Hoffnungen, verdrängte, aber nie vergessene Lieben: Immer die Frage, ob das ein Geist ist oder ob man ihn eventuell trinken kann.

    Geist heißt hier eine präsente Anwesenheit der Abwesenheit, eine Fülle an Erinnerungen, an gedachte Zweisamkeiten in einer allgegenwärtigen Einsamkeit. Die Fotos sind stiller Begleiter dieser Alleinsamkeit: In blassen Farben gehalten stechen die grellen Thematiken dieses Buches hervor: ein Kennenlernen menschenloser, verlassener Orte. Überall sind leere Fahrzeuge, Geschäfte, Häuser, Züge, Straßen, Seen. Kurzum eine Sammlung von lost places, die ihre Trennung von Menschen und ihre Isolation stolz vor sich hertragen, genauso um ihre Vergessenheit und ihr Verschwinden zu dokumentieren; eine persönliche Ausstellung für zu Hause.

    Es zollt selbstverständlich Tribut an die unlängst verstorbene Schriftstellerin Elfriede Mayröcker, die mit ihrem Buch „brütt oder die seufzenden Gärten“ oder mit „Paloma“ Eingang findet – eine literarische Ausnahmekünstlerin, der im ungleichen Ausmaß mehr Anklang bei deutschsprachigen, männlichen Schriftstellern findet als sonst eine Schriftstellerin. Umso erfreulicher, dass nun auch Spuren von Ingeborg Bachmann, Elfriede Gerstl oder Marlen Haushofer zu finden sind.

    Während das ungewöhnliche Format auffallend und eindrucksvoll adrett und geordnet daherkommt, wird eine innere Ordnung nicht manifest, einige Bilder aus dem zweiten Buch „In einer komplizierten Beziehung mit Österreich“, finden hier erneut Eingang, und lesen sich wie eine Vorahnung auf „Gespenster zählen„:

    Wir bleiben zurück als Gespenster als Scherenschnitt

    In einer komplizierten Beziehung mit Österreich

    Wenn man Peichls Namen im Katalog der Wiener Büchereien sucht, findet man zwangsläufig auf der ersten Seite das Handbuch der Psychotraumatologie; „Gespenster zählen“ ist zwingend traumatisch poetisch: es geht ums Anschauungen abfragen in künstlerisch literarischer Pose, es wird mehr gezeigt als gewollt als im Debütroman „Wie man Dinge repariert“. Es ist zeitgleich ein Stück Dorfliteratur genauso wie Erinnerungen an eine Stadt, die es in dieser Form nicht mehr gibt.

    Das Buch, das diesmal auf Seitenzahlen verzichtet und Ordnung mit einer Bild und nummerierten Textabfolge herstellt, gestaltet sich mit weniger Leserausch als die letzten beiden Bücher, mehr als dokumentarisches Bereuen: Seelen bröckeln und vergeistern, auch eigenen Gedanken sind Gespenster und spuken im Kopf herum. Spürbar wird eine radikale Wehmut, die Liebe häufig mit Schmerz verbindet, und ein melancholischer Unterton, der die Roadtrips durch die Vergangenheit begleitet.

    [Information]

    Martin Peichl & Matthias Ledwinka: Gespenster zählen. Kremayr & Scheriau. 160 Seiten. durchgängig vierfärbig. ISBN978-3-218-01282-9. 22 Euro.