Monat: März 2022

  • [rezension] Die Königin von Troisdorf // Andreas Fischer

    [rezension] Die Königin von Troisdorf // Andreas Fischer

    Ich bin ein Luftschlucker. Das gefällt mir. Ich will gerne ein Luftschlucker sein.

    Andreas schluckt viel mehr als die Luft in diesem Buch. Er ist als Kind dazu gezwungen, die Vergangenheit seiner Vorfahren zu „schlucken“, immer ohne Kontext und viel zwischen Zeilen. Er schluckt verbale Entgleisungen wie körperliche Gewalt, Bedrohung wie Streit, großelterliche Diffamierung wie Lieblosigkeit.

    Alle Bezugspersonen um Andreas sind Erwachsene und tragen jeweils ihr Päckchen Trauer, Trauma und Trostlosigkeit mit sich herum. Oma Lena scheint ihren Enkel zu hassen, wie sie verbal häufig kundtut. Mutter Ilse tritt als Verbündete der Großmutter auf, Vater Reinhold trinkt, raucht und versucht, die Vergangenheit zu vergessen. Onkel Bruno ist gewalttätig und lässt Andreas diese Abneigung spüren, da er sehr hart zu dem Jungen ist. Einzig Tante Hilde, sein „Herzlieb“, zeigt mit Güte und Warmherzigkeit Andreas eine andere Welt.

    „Die Königin von Troisdorf“ ist ein Kriegsenkelroman, der sich so individuell gestaltet und trotz alledem eine typische deutsche Nachkriegsfamiliengeschichte erzählt. Der Aufbau Westdeutschlands atmet man nebenher ein: Nach den zwei Weltkriegen arbeitet sich die Familie mit dem Fotogeschäft hoch, baut Mietshäuser, wird vermögend – eine typische Aufstiegsgeschichte, die vor allem den Satz mit sich trägt: Leistung lohnt sich. Zu bedauerlich, dass Andreas dies vermeintlich nicht versteht und seine gutsituierte Lage nicht zu schätzen weiß. Er ist jener Sohn, der nie in den Krieg musste, keinen Verlust zu beklagen hat und den herben Verlust des Endsiegs nie zu tragen hat. Dies zeigt sich in der Tonalität des Kindes gegenüber, ebenso der Ansicht, wie ein Kind zu sein habe. Andreas weiß sich nicht zu helfen und nennt Mutter und Großmutter daher Hindenburg und Ludendorff:

    „Ich habe zu gehorchen, nur ein gehorsames Kind ist ein gutes Kind. Ich habe nichts zu wollen und schon überhaupt nicht etwas nicht zu wollen. Ein Infragestellen der Befehlsgewalt bedeutet für Hindenburg und Ludendorff Hochverrat, eine Gefährdung der Herrschaftsstruktur an und für sich, und an dieser Stelle kennt die Oberste Heeresleitung kein Pardon.“

    Fischer erzählt autobiografisch seine Geschichte, die in neunundfünfzig Kapitel gegliedert ist und sich über 100 Jahre (1914 – 2014) zieht. Es geistert viel in diesem Roman. Die Geschichte des gefallenen Onkels Günther, der via Feldposteinträge vorgestellt wird. Ein glühender Verehrer der Härte; sie geistert Jahrzehnte später im Wohnhaus der Fischers weiterhin herum. Ebenso geistert Opa Paul herum, der im ersten Weltkrieg war. Auch die Nähe zwischen Andreas und seinem Vater geistert herum, die ab und an schöne Momente erleben wie den Kauf einer Enzyklopädie, sofern dieser nicht betrunken bei Korn und Kippen in der Küche sitzt.

    Schmerzhaft und sehr detailgetreu wird die familiäre Situation beschrieben, dessen Epilog länger als der tatsächliche Epilog ist. Der Roman liest sich nichtsdestotrotz als Zeitdokument der 1970iger Jahre und den technischen Erfindungen, die Andreas eine neue Welt eröffnen. Fischer sucht die Nähe zu den Leser:innen in den Orten seiner Kindheit: Baggergruben, Kirchen, kleine Kinderzimmer, Küchen und die Straßen von Troisdorf. „Die Königin von Troisdorf“ ist harter Tobak, Fischer hinterfragt Glaubensgrundsätze und historische Ereignisse, er geht mit selbst dabei am härtesten ins Gericht.

    Wenn dieser Roman eines zeigt, dann das:  Von der eigenen Kindheit erholt man sich nicht. Aber Schreiben lindert den Umstand etwas.

    [Information] Andreas Fischer : Die Königin von Troisdorf. Als der Endsieg ausblieb. eschen4 verlag: 473 Seiten, 22,50 Euro, ISBN 978-3-00-070369-0.

    Ein herzliches Dankeschön an Birgit Böllinger für das Rezensionsexemplar.

  • [rezension] DIE DRINGLICHKEIT DER DINGE | Markus Grundtner

    [rezension] DIE DRINGLICHKEIT DER DINGE | Markus Grundtner

    Dabei verliere ich kurz die Orientierung, muss meinen Kompass wieder justieren und fasse an den Knoten meiner Krawatte, um zu überprüfen, ob noch alles seine Richtigkeit hat. Der Knoten ist in Ordnung, locker, dünn und schief.

    Der 27jähriger Anwalt Mathias Gandt steht am Beginn seines Berufslebens, und möchte alles korrekt machen und die Knoten seines Lebens lösen. Er ist ein stringenter Listenmensch. Selbst seine Lebensziele formuliert er als Liste und anhand der drei Ks: Kanzlei, Karriere, Kind. Gleich zu Anfang des Romans gesellt sich unverhofft das vierte K dazu: Klaudia Antonini, die Lehrerin für Italienisch und Latein ist, und sich zum einen ihren großen Traum einer Literaturvermittlerin in der österreichischen Hauptstadt erfüllen mag und zum anderen eine Familie gründen möchte; im inneren Konflikt, dass sich der zweite Wunsch kaum mehr erfüllen mag mit siebenunddreißig Jahren.

    Zwischen Wien und Triest, Romantik und Recht, merken beide schnell, dass alles Verhandlungssache ist und Liebe oft unverhoffte Wege geht: Mathias hält es schwer aus, dass nicht alles kontrollier- und vorhersehbar ist, und stellt fest:

    Wir haben nicht das gleiche Tempo. Wir sind Menschen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten.

    Die Handlung des Romans gewinnt noch einmal ordentlich an Tempo, während das Leben von Mathias und Klaudia auf den Kopf gestellt wird. In schneller, fließender Sprache mit vielen Dialogen erlebt man die Geschichte hautnah mit. Ein Drehbuch einer Liebe, die sehr ungewöhnlich ist. Locker erzählt kommt auch der Juristen -Jargon daher, der einen immer zum Schmunzeln bringt und ebenso im Nebensatz zwischen Besitz und Eigentum aufklärt, genauso über Wohnungsverträge und Vergleiche:

    Sag: Du hast mir ein Herz geraubt.“ – „Raub ist eine Wegnahme oder Abnötigung einer fremden Sache mit den Mitteln der Gewalt oder der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben. Vielleicht hinterfragst du deine Vorstellungen von Liebe.

    Besonders beeindruckend ist die Metaebene rund um Streit, Schweigen und Vergleich. Viel Ungesagtes schwingt mit und lässt Lesende selbst auf ihr Konfliktverhalten in Beziehungen blicken. Streiten will gelernt sein und jeder Streit zieht Urteil oder Vergleich mit sich, jede Auseinandersetzung reibt sich an der verwendeten Sprache und dem Gesagten:

    Ein Spiel mit Worten: Es geht darum, das richtige zu finden.

    Wie Grundtner zärtlich Liebe als Legis actio sacramento in rem verhandelt, kommt in Liebesdingen schnell zum gleichen Schluss wie der Autor:

    Mehr spüren und weniger denken.

    Ein großes Augenmerk sei auf die Innigkeit und Zuneigung gelegt, die in diesem Roman eingeflossen ist. Auch wenn die literarische Sprache zugunsten der Handlung etwas zu kurz kommt, ist diesem autobiografisch angelehnten Buch eine klare Leseempfehlung auszusprechen: Ein idealer Roman für den Sommer, wenn einen die Sehnsucht nach Triest nicht mehr loslässt und eine kurze Pause von der anstrengenden Welt benötigt wird.

    [Information] Markus Grundtner: Die Dringlichkeit der Dinge. Edition Keiper. 250 Seiten. 978-3-903322-55-4. 22 Euro.

    Ein herzliches Dankeschön an den Verlag für das Rezensionsexemplar.

  • [rezension] HEUTE GRABEN | Mario Schlembach

    [rezension] HEUTE GRABEN | Mario Schlembach

    Alles beginnt und endet bei A. Jeder Gedanke, jede kleine Erzählung, jede Aufzeichnung im Notizbuch. Nur lässt sich Liebeskummer von der Seele schreiben? Mario Schlembach lässt sich in Form eines Tagesbuch auf diesen Versuch ein. Wer A. ist, erfährt man am Anfang nicht. Man ahnt: es muss die große Liebe sein. Man vermutet: Sie könnte auch gestorben sein. Es würde zum Beruf passen, den das literarische Ich ausübt: Totengräber. Er schaufelt Gräber für Hoffnungen genauso wie für Romanzen und wenn jemand im Dorf stirbt, dann natürlich auch. Ein bisschen wird am eigenen Grab geschaufelt: Das Ich trinkt viel, ernährt sich ungesund und bekommt zu allem Überdruss auch noch dieselbe Lungenkrankheit diagnostiziert wie Thomas Bernhard, natürlich nicht, ohne ironischerweise darauf hinzuweisen. Zwischen fünf Heften entwickelt sich die Tragik des Ichs: Mehrere Frauen, die getroffen und nie wieder gesehen werden, während Bild und Gedanke stets um A. kreisen. Das Ich sucht nach Sprache, dem Schreiben und der Leere in sich, die Selbstvergewisserung im Blick:

    Schreiben? Ich spreche nicht darüber und wenn, dann nenne ich es Kritzeln oder Herumbasteln. Es fällt mir immer noch schwer, alles, was nicht mit körperlicher Verausgabung zu tun hat, als Arbeit zu sehen.

    Während sich der Wunsch nach einem Schriftstellerdasein herauskristallisiert, sind es die Orte, die wesentlich sind, in denen sich das Ich bewegt: Friedhof, Behandlungsraum und Bett. Es ist eine Erzählung, ähnlich einer Männergrippe, die sich wehleidig und larmoyant zwischen gestorbenen Lieben und verstorbenen Hoffnungen dahin liest. Die akribische Darstellung des Krankheitsverlaufs komplementiert diesen Roman, ohne auf Poesie zu vergessen:

    Es geht mir gar nicht anders – dich zu träumen ist mein Atmen.

    Der dritte Roman nach Nebel und Dichtersgattin erweist sich als weiterer Beweis dafür, wie eng Schlembach mit dem Tod ist und sich damit tröstet, ihn als Freund zu haben. Auch wenn die Baggerschaufel mit mehr Selbstmitleid als Ironie gefüllt ist, so ertappt man sich dabei gelernt zu haben: Man kann mehrere Tode sterben und trotzdem ganz lebendig sein.

    [Information] Mario Schlembach: Heute graben. Kremayr & Scheriau. 192 Seiten. 978-3-218-01295-9. 20 Euro.

    Ein herzliches Dankeschön an den Verlag für das Rezensionsexemplar.