Wer sind diese großartigen Autor/-innen, die hie und da ein Sterbenswörtchen verlieren? Mein Gast ist diesmal Raoul Eisele, Jahrgang 1991, der seit vielen Jahren eine junge Generation in Österreich mit seiner fantastischen Lyrik begeistert. Raoul hat in vergleichende Literaturwissenschaften und deutsche Philogie in Wien studiert und erobert gegenwärtig die Theaterbühnen von Berlin. Ganz besonders erwähnenswert ist seine Karriere als Lyriker in diversenen Literaturzeitschriften und -magazinen. So hat es Raoul schon in das DUM, etcetera, Triëdere, silbende_kunst und ins ]trash[pool geschafft. In der Edition Yara hat Raoul letztes Jahr sein Debut mit dem Lyrikband „morgen glätten wir träume“ hingelegt. Raoul ist umgänglich und großartig und ist mit dem folgenden Interview Teil der Reihe [Sterbenswörtchen]:

 

Was bedeutet der Tod für dein Schreiben?

In einer Stadt wie Wien, ist der Tod ein ewiger Begleiter. Ebenso wie mich die Liebe begleitet. Beide bedingen die Literatur und beide bedingen auch meine Literatur – ohne jene gefühlsausbrechenden Handlungen, die mit der Liebe als auch dem Tod einhergehen, wäre vieles leer geblieben. Ich denke daher, dass der Tod für mich genauso Flamme sein kann, wie es die Liebe ist, und tritt daher in meinem Schreiben oftmals deutlich auf.

Wie politisch ist der Tod?

Der Tod ist in seinen Grundzügen unpolitisch, doch wird er immer wieder für diese missbraucht. Horváth schreibt, beispielsweise über den Zusammenhang zwischen Kirche und dem Staat, die sich gegenseitig bedingen. In unserer Gesellschaft sind des Weiteren der Tod und die Kirche bis heute verschmolzen. Daher kann sich der Tod nicht unpolitisch zeigen bzw. von der Religion abgrenzen. Der Tod an sich wäre aber ohne den Menschen als Begrifflichkeit bloßes Gegengewicht zum Leben, doch durch ihn ist der Tod zu etwas religiös Politischem gemacht worden und wird es auch weiterhin bleiben.

Wie wirkt der Tod in sozialen Medien?

Das Thema Tod wird in den sozialen Netzwerken immer wieder aufgegriffen, sei es um sich mitzuteilen und einen geliebten Menschen öffentlich zu betrauern oder sei es bloße Inszenierungsfreude. Trotz allem bleibt der Tod, der in den sozialen Medien gezeigt wird, oftmals nur ein Ausschnitt, eine Miniatur der gesamten Geschichte, die hinter der Trauer steckt und somit zumeist nur ein Aufmerksamkeitshaschen nach Trauersmileys und oberflächlich nett gemeinten Worten. Meiner Meinung nach kann und sollte Trauer nur im Stillen passieren, im engen Kreis, jener geliebten Menschen, die einem über die Trauer wirklich hinweghelfen können. Daher sollte diese nicht an die Öffentlichkeit getragen werden.

Ein Verschweigen der Todesthematik sollte aber auch nicht passieren. So ich bereits gesagt habe, dass man nicht davon loskommt, den Tod auch politisch (als politisches Mittel) anzusehen, ist es notwendig über gewisse Themen journalistisch/geschichtlich/literarisch korrekt zu berichten und auf mögliche Widrigkeiten aufmerksam zu machen, die den Tod miteinschließen. Diese Berichterstattung erfolgt mittlerweile eben auch oft über soziale Medien und ist für mich dann wiederum in Ordnung. Denn ein Vergessen bzw. ein Ausschließen dieses Themas kann oftmals schwerwiegende Folgen nach sich ziehen.

Was bleibt von Menschen, wenn sie nicht mehr sind?
Was bleibt, wenn du gehst? Was geht, wenn du bleibst?

Dass mich gerade jetzt das Thema Tod so einnimmt, wo ich gerade 27 geworden bin und das nächste Stück, welches ich in Berlin am Theater mitbetreue, sich mit der Trauerarbeit auseinandersetzt, wirkt fast schon etwas beängstigend und ironisch zu gleich.

Wenn ich glauben sollte, dass meine Schreibtätigkeit etwas hinterlässt, dann würde ich mich naiv nennen, da nur Weniges über ein Leben hinaus bestehen bleibt (nicht immer qualitativ begründbar). Schreiben hinterlässt zwar etwas Erdachtes von einem Menschen, hält es auf Papier fest, aber gleichzeitig bleiben es bloß Worte auf Papier, die nach einer gewissen Zeit vergilben und irgendwann gar nicht mehr sind. Ich denke daher, dass nichts bleibt, wenn ich gehe, ebenso wenig bleibt auf Dauer gesehen von jemandem etwas übrig, wenn andere gehen und ich zurückbleibe. Zwar habe ich Erinnerungen – doch der Verstand ist wie das beschriebene Papier, auch das altert und hinterlässt schlussendlich nur Leerstellen. „Bloß die Zeit rauscht unter dem Brückenbogen“[1] unbekümmert weiter.

 

Welches Kunstwerk (Buch, Film, Text, Musik, Bild) drückt den Tod am besten aus?

Ein einzelnes Kunstwerk zu benennen, das den Tod am „besten“ ausdrückt, käme mir falsch vor. Ich denke, es würde vieles ausklammern, das ebenso genannt werden muss. „Immer wenn ich leben will“ von Halina Poświatowska zählt für mich in der Literatur zu den ganz wichtigen Werken über den Tod und die Liebe. Unbedingt zu nennen ist für mich auch „Mohn und Gedächtnis“ von Paul Celan. Auch die Texte Martin Peichls z.B. „1000 Tode“ oder „Einen Wald geerbt“ haben mich stark berührt. Doch nicht nur die Literatur setzt sich mit dem Tod auseinander. Richard Wagners Oper „Tristan und Isolde“ findet für mich jenen Ausdruck, der im Tod eine unglaubliche Schönheit mitschwingen lässt. Auch Aktionskünstler wie Günter Brus, Rudolf Schwarzkogler und Hermann Nitsch schaffen eine Ästhetik des Todes. Frida Kahlos Gemälde „Der verletzte Hirsch“ oder „Ohne Hoffnung“ müssen hier unbedingt auch noch genannt werden. Und seit gestern packten mich auch wieder die „dunkelgrauen Lieder“ von Ludwig Hirsch. Doch alle Genres der Kunst gehen mit dem Thema Tod auf ihrer Weise um und bringen Meisterwerke hervor, wo mir hier die Seiten fehlen, um sie alle aufzuzählen.

Wie viele Tode kann man sterben?

Da bin ich pragmatisch; ich denke, sobald man stirbt, wars das. Daher nur einen, auch wenn gewisse peinliche Begebenheiten einen sprichwörtlich schon mehrere Male 1000 Tode sterben ließ.

Welchen Zustand hat der Tod?

Wenn der Tod einen Zustand hätte, so würden wir uns nicht davor fürchten in diesen zu gehen. Ich denke, man kann ihn nicht bestimmen und doch würde diese Zustandslosigkeit wohl eine Leerestelle sein, ein Zustand des Nichts, welchen wir ebenso auf Erden zurücklassen, sobald wir ihn betreten.

Inwieweit beeinflusst der Glaube/Nichtglaube den Tod?

Der Tod wird wie schon bei der Frage nach der Politik auch von der Religion vereinnahmt und stellt einen Ausweg dar, für all jene, die sich mit dem Tod nicht auseinandersetzen wollen. Die Hoffnung an ein nächstes Leben oder den Einzug in Paradies wirkt natürlich verlockend; vermutlich aber auch im Nichtglauben steckt eine solche Hoffnung. Denn somit muss man sich nicht verantworten, für alles, was man auf der Welt getan hat und wie man diese hinterlässt. Ich selbst bin kein gläubiger Mensch und denke auch nicht, dass mich ein Paradies oder ein Nirvana erwartet, sollte ich nicht mehr sein, trotzdem nimmt der Tod Einfluss auf ein jedes Leben (auch bei mir), egal ob es nun von einem Glauben oder Nichtglauben mitgeprägt ist, ganz wird man sich dem nie entziehen können.

Was bedürfe einer Änderung in der Welt bevor man geht?

Momentan haben wir nicht nur politisch viel aufzuarbeiten, sondern auch ökologisch/ökonomisch. Vieles in der Welt hat momentan eine Schieflage bekommen und sollte geändert werden, auch wenn es mit Einschränkungen verbunden ist (auch ich sollte mir dabei den Spiegel öfters vorhalten).

Wichtig wird sein, die Welt so zurücklässt, dass ein Weiterleben garantiert ist.

[1] Nach Günter Eichs Gedicht „Ende eines Sommers“

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