Schlagwort: Literatur

  • Eventuelle Wunder.

    Bist du noch bei mir
    oder fackelst du andere an
    mit deinem Lächeln
    magst du Bier
    oder vom Leben kosten?
    Bring lieber den Wein mit
    und ich die Geschichten
    mal den Mond an
    oder die leeren Wände
    braten wir uns Fische
    bevor sie ostwärts gehen

    Wirst du noch bei mir
    oder rennst du lieber weg
    mit deinen Augen
    magst du glühen
    oder lieber gleich verbrennen?
    Ich bring mich mit
    ich hab mich zu verschenken
    Menschen, das sind alles Tonnen
    für Gefühle, Angst und Bier
    laufen wir einfach weg
    es wird uns nichts geschehen

    Liegst du noch bei mir
    oder schläfst du lieber weg
    mit deinen Träumen
    magst du erzählen
    oder lieber schreien?
    Bringen wir Hoffnung mit
    und bitte Geduld von den Eseln
    was kann uns schon passieren
    bloß Momente sind unendlich
    nimm meine bloß meine Hand
    dann werden wir was erleben

    BILDQUELLE
  • Etüden für ein Wunder.

    Stell´ den Salzstreuer
    über den Pefferstreuer
    und umgekehrt
    pflanz´doch Worte ein
    oder Briefe
    pack mir ein Wunder ein
    und gib’s mir mit auf die Reise
    verbau mir alles
    mit Sicherheiten
    und links und rechts
    zählen wir Leberflecke
    zeigen Narben
    schmieren sie als hässliche Bilder
    an die Wand
    nimm einen Bleistift
    streich doch die Ängste durch
    aus deinem Leben
    greif ich mir die Gedichte
    und die Ungewissheiten
    doppelter Wortwert
    bei Herzverzehrung
    Planbruchstellen
    eingeschlossen
    am Leben drehen
    wie am Lautsprecherknopf
    was fragst du mich
    ob wir Lieder oder Liebe
    hören.

    BILDQUELLE
  • Orangenblüten oder: Eine Geschichte übers Altern.

    Ich schreibe dir. Das tue ich, weil ich gerade auf dich warte. Ich schreibe dir. Das tue ich, weil ich weiß, dass du das lesen könntest oder auch nicht, wenn dieses Blatt Papier wie des öfteren zerknüllt in der Tasche landet. Es ist schön hier, ich mag die Landschaft, es war gut, dass wir weggefahren sind, weg von dem Alltagsgrau, dass uns immer und immer wieder einholte und dass uns schlussendlich hier her gebracht hatte. Mein Blick wandert umher und ständig entdecke ich Neues, Wundervolles, das mich ins Staunen geraten lässt und diese großartige Faszination ausübt, dass man diese Kribbeln spürt, als hätte man sich soeben neu verliebt. Hast du die in Kalk getünchten Häuser gesehen? Es brennt in den Augen, die Häuser sind so strahlend weiß, doch ich mag es, es ist besser als das Alltagsgrau.

    Das Blau sticht mir ins Auge, mein ganzes Leben hatte ich noch nie so blaues Meer gesehen, obwohl ich schon so oft am Meer war, und es jetzt wohl zwei Dutzend Reisen ans Meer gewesen sein mögen. Ich habe das leider mit dem Alter vergessen. An der Küste ist es so wunderbar türkis und es wird so kräftig dunkelblau, je näher man in den Horizont blickt. Es fällt mir schwer, die Schiffe draußen am Meer zu entdecken, doch die Segler im Hafen scheinen glücklich zu sein, so wie wir damals, als wir unseren ersten Segelurlaub gemacht hatten. Es riecht hier so wunderbar nach Meer! Ich liebe diesen Duft so sehr. Das Salz in der Nase sticht etwas und mir fällt wieder ein, dass du immer nach Meer gerochen hast. Ich kenne dich schon so lange, deine Haare rochen immer nach Meer, wenn wir langsam in unsere Träume versunken waren. Ich habe dann immer die Wellen gehört, die manchmal sanft, manchmal aufbrausend ihren Besuch auf dem Strand abstatteten und alsbald wieder ihre Heimkehr verkündeten. Überall hatten wir Bilder vom Meer an die Wand gehängt, manchmal fanden wir das Leben so großartig, wir schrieben uns gegenseitig Briefe und verschickten sie als Flaschenpost. Wir hatten das Meer, das Meer war die Freiheit, das Vermissen, der Ort unserer Hoffnung. So oft hatten wir das Meer vermisst, die Bilder stimmten uns traurig, sobald wir nicht bei ihm sein konnten. Sobald wir es nicht mehr ausgehalten haben, hatten wir unsere Koffer gepackt und wir zogen los. Einen gepackten Koffer hatten wir immer gepackt, immer bereit die Welt zu erkunden. Mittlerweile haben wir einen Koffer voll von Fotografien, immer bereit die Welt der Erinnerungen zu erkunden. Unsere Erinnerungen machten bereits einen Großteil unseres Lebens aus, uns ist ungewiss, wie viele Erinnerungen wir noch in diesen verstaubten Koffer packen können, ich hoffe doch, es werden noch ein paar.

    Ich hatte vorhin meine Augen geschlossen, weil es so wunderbar hier riecht. Die Orangenblüten haben ausgetrieben, durch die ganze Stadt zieht ein sanfter Orangenduft von den Blüten, die Menschen scheinen soviel sanfter deswegen. Ich spüre gerade, wie die Sonne auf meiner Haut tanzt. Die kleinen fast durchsichtigen Härchen im Nacken sträuben sich, ein sanfter Westwind weht darüber, mir ist nicht kalt, das erste Mal in diesem Jahr.Es fällt mir in diesem Augenblick ein, dass der Westwind Zephyr genannt wird, ich mag das Wort sehr, weißt du? Vor Jahren haben wir damals ein Freiluftkonzert besucht, wir hörten Vivaldis Le quattro stagioni, im ersten Satz von L’Estate war dieses Wort aufgetaucht, ein Zephyr, der vom Nordwind Boréas durcheinander gewirbelt wurde, ein Gewitter, dass darauf hin im Presto Teil entsteht. Die Winde wehten immer, manchmal waren sie wie einer dieser ersten Frühlingswinde, manchmal tobend wie jene Winde, die Gewitter brachten, aber wir lernten mit den Winden zu leben, bist du nicht der Ansicht?

    Ach, wie großartig, ich liebe diesen Orangeblütenduft! Ich würde ihn so gerne mit nach Hause nehmen, weißt du? In unser Haus würde so ein Duft ganz gut passen. Wir haben doch ohnehin Erinnerungen darin aufgenommen, dieser Duft würde gewiss nicht stören. Auf dem Treppenaufgang haben wir die ganzen Postkarten an die Wand geklebt, die wir uns gegenseitig immer schickten, als wir alleine auf Reisen waren. Im Wohnzimmer steht unsere Truhe, wo wir allerlei Erinnerungen aufbewahren. Du hattest damals damit angefangen, aus jedem Land ein Buch in der Landessprache mitzunehmen, auch wenn du es nicht lesen konntest, es war dir wichtig gewesen, etwas zu haben, was dich etwas an die verstrichene Zeit erinnert. Dafür achte ich dich sehr, ich habe dich immer geachtet, auch wenn uns das Alltagsgrau manchmal wie eine dicke, staubige Steppdecke eingehüllt hatte. Ich hatte in die Truhe allerlei Polaroid Fotografien, alte Dias, Bleistifte und das Buch mit den getrocknete Blumen hinein getan. Aus jedem Land habe ich eine Blume mitgenommen, sie waren haltbar gemacht worden, und doch so zerbrechlich, wie die Erinnerungen, die wir an diese Reisen hatte, aber langsam vergessen würden. Ich hätte wohl mindestens schon die Hälfte vergessen, würde ich dich nicht haben, wir tragen unsere Erinnerungen gemeinsam und erzählen sie uns an den verregneten Nachmittagen, wenn wir bei Tee zusammensitzen.

    Hier ist alles so voll von diesem wunderbaren Leben, hier stört mich der Lärm nicht, es ist angenehmer Lärm. Menschen führen Konversationen in einer Sprache, die ich nicht verstehe, aber es ist mir egal, weil ich weiß, dass du bald kommen wirst, und wir uns dann über deinen kleinen Ausflug unterhalten werden. Es tut gut, dass so viele Menschen die Stadt beleben, ich fühle mich so erfrischt. Schon lange habe ich mich nicht so jung gefühlt. Vielen Dank dafür, dass du mich einfach entführt hast und ich nun da sitzen darf. Mein Kaffee duftet gut, er ist frisch gemahlen, er kühlt langsam aus und bald werde ich ihn trinken können. Meine Vorliebe für Kaffee hast du nie ganz verstanden, du hattest Angst, dass ich bald sterben würde, würde ich weiterhin soviel Kaffee trinke. Dir zuliebe trinke ich jetzt weniger Kaffee, aber ich muss dir gestehen, heimlich, wenn du nicht anwesend bist, trinke ich dann doch manchmal etwas mehr. Vor dir würde ich das jedoch nicht zugeben, ich will nicht, dass du dir meinetwegen Sorgen machst. Ich habe vergessen, dir zu sagen: Die nette Frau von gestern Abend hat mir gerade Marmelade vorbeigebracht und bald werde ich sie verkostet, aber ich möchte damit auf dich warten. Du bist schon so lange weg, ich kann es nicht erwarten, bist du wieder kommst.

    Du hast mir einen Bildband dagelassen, damit ich mich nicht langweile. Es sind kunstvolle Bilder darin enthalten, die besten von Gauguin, Cézanne, Seurat und Toulouse-Lautrec, manchmal vereinzelt Bilder von Sérusier und Vuillard. Mit Bleistift hast du deine Lieblingsbilder am Rand vorsichtig gekennzeichnet, so wie Edouard Vuillards La liseuse von 1910. Du magst die alte Frau, die ein kleines Büchlein gerade liest, das Bild wirkt so ruhig und angenehm. Ganz oft hast du dir auch das Bild Fleuve sous les arbres, Martinique von Gauguin angesehen, die Seite hat bereits einen Riss am oberen Ende bekommen. Dein Leben war immer voll von Bildern und Notizen, von Gedanken und Worten, die andere gesagt hatten. Vorhin habe ich gelesen, dass Renoir diese wundertolle Umgebung als seine Wahlheimat deklariert hatte, wir müssen uns das aufschreiben, damit wir zuhause etwas erzählen können. Bei meinem Spaziergang vorhin habe ich auch Postkarten mit Motiven von Henri Matisse entdeckt, wir sollten vor unserer Abreise doch das Musee Matisse de Nice mit unserer Anwesenheit beehren, das wäre großartig, meinst du nicht?

    Manchmal wünschte ich, ich wäre noch so albern, wie die Jugend, die ich gerade beobachte, wie sie tatsächlich schwimmen geht, obwohl das Wasser gerade mal 16 Grad aufweisen kann. Was waren wir manchmal albern! Gut, dass wir das Leben nie so ernst genommen haben, lange hätten wir es sonst nicht ausgehalten. Die guten Witze haben wir uns gemerkt, die schlechten Scherze, die uns das Leben gespielt hat, haben wir unter den Teppich gekehrt, der in unserem Wohnzimmer liegt. Gertrude Arndt wäre wohl nicht sonderlich erheitert, wenn sie wüsste, dass schlechte Scherze jetzt da beheimatet sind. Sie kann von Glück reden, dass das ein Teppich ist, der nur dem von Gropius´ Direktion gleicht.

    Gerade bin ich noch in Versuchung, erneut eine Tasse Kaffee zu ordern, aber ich habe das Gefühl, dass du bald kommst, also warte ich auf dich. Ich warte so sehr auf dich, und du fehlst mir, sobald ich dich nicht mehr sehe. Das war schon immer so, seit ich dich kenne. Mit dir habe ich das Warten gelernt. So oft habe ich dich auf gewartet, deine Reisen waren oft ungewiss, und ich habe warten müssen, ob es mir gepasst hatte oder nicht, aber mein Magen hat sich immer zusammengezogen, so voller Freude war ich, wenn du wieder gekommen bist. Du hast mir nie gesagt, wie es dir mit dem Warten erging, bis heute lächelst du verschmilzt, wenn ich dich Dinge frage, die du mir nie sagen würdest. Aber du musst das Warten auch gemocht haben, sonst wären nie so viele Jahre ins Land gezogen, das Warten war für dich wohl eine leichtere Übung als dies für mich immer war. Es ist wie heute, als ich dich gerade am Straßenanfang erkennen kann, du hast frisches Brot mitgebracht und eine Tasche, die voll mit neuen Büchern gefüllt ist. Dein Gang ist nicht mehr so stolz, aber stattlich schreitest du deines Weges, charmant lächelst du und machst Menschen auf deinem Weg Komplimente. Du lachst gelassen in dich hinein, du hast wohl ein gutes Erlebnis gehabt, dass du mir alsbald erzählen wirst. Ich freue mich so darauf! Dein Buch habe ich zugeschlagen, ich sehe dir lieber dabei zu, wie du lachend auf mich zukommst, du siehst noch immer so gut aus, du bist durch deine Falten immer nur interessanter für mich geworden. Nicht einmal in den vielen Jahren, kam mir in den Sinn, jemand anderen so zu bewundern und gern anzusehen wie dich. Auch darob hast oft geschwiegen, aber dein Leben lang hast du mich dabei beobachtet, wie ich meine langen Haare kämme. Verstohlen aus den Augenwinkeln habe ich dich betrachtet, du warst felsenfest der Überzeugung, ich würde deine Beobachtungen nicht mitbekommen. Was für ein Irrtum deinerseits! Auch ich muss meine Mundwinkel leicht nach oben ziehen, ich liebe es, dich anzulächeln. Mein Warten hat wohl jetzt ein Ende, weil du bald da sein wirst. Machs gut! Wir sehen uns gleich.

  • Schneeflocken.

    Die Schneeflocken treiben, so wie wir. Mit der Zeit, in den Momente, wir halten fest, uns fest, an uns, an dem letzten Funken Hoffnung, der sich gerade entschieden hat, die Welt ruhen zu lassen und weiß einzuhüllen. Wir haben uns hier hingelegt, dem Schnee schauten wir zu, wie er bedächtig auf das große Dachfenster fiel, kurz blieb, und dann schmelzte, weil die warme Luft des nahegelegenen Ofens die Scheiben zu sehr wärmte. Das Grau des Himmels vermischte sich bereits mit Blautönen, bald würde es dunkelblau sein, bald schwarz. Wir haben uns in Decken gehüllt, wir wollten zusehen, wie das Grau geht, wie die Schneeflocken auch uns bedecken. Eigentlich bräuchten wir keine Kuscheldecken, der Raum so warm, die alten Schwedenöfen hatten schon immer gut geheizt, du hattest vorhin ordentlich nachgelegt. Da war der Himmel noch hellblau, nun war er grau, es schien, als hätten die Schneeflocken eine anstrengende Reise hinter sich. Wir ruhten, wir schmolzen dahin, unser Nachbar übte wieder Klavier, er war gut. Niemand sprach, die Welt war laut genug. Wenn man leise genug war, hörte man die Schneeflocken auf die Scheiben fallen, es klang, als würden sie uns einen guten Abend wünschen wollen. Der Boden knarrte, weil er an Feuchtigkeit verlor, neben uns lag die Katze, die schnurrte und langsam in den Schlaf versank. Die Sonate hatten wir schon oft gehört, es war uns auch ein Lieblingsstück geworden, jedes Mal klang sie ein bisschen schöner, ein bisschen vertrauter, ein bisschen mehr erzählte sie davon, dass wir endlich da waren, wo wir immer hin wollten. Der Teekocher brodelte bedächtig hin, bald würde wohl das Wasser heiß genug sein, die Tassen hatte ich schon bereit gestellt, den Tee in die Teekanne getan. Sie warteten. Wie wir, die nebeneinander lagen, und nach außen starrten, wie die Schneeflocken langsam die Scheiben kühlten und liegen blieben, sich ausruhten. Der dritte Satz war Adagio, auch unser Nachbar ruhte sich gerade aus. Das Wasser war heiß genug, bedächtig hielt ich inne, den Moment wollte ich nicht zerstören. Die Ruhe hatte sich unsere Adresse gemerkt. Wir langen zu viert im Bett, du, die Katze, die sich mittlerweile neben dich gelegt hatte, die Ruhe und ich. Die Schneeflocken beobachteten uns, sie blieben auf der Fensterscheibe liegen, und starrten auf uns. Du hattest hart gearbeitet, du sahst so müde aus. Ich rollte mich leise aus dem Bett, tapste leise in die Küche, bereitete den Tee zu. Deine Lieblingstasse hatte schon einige Blessuren erlitten, oben hatte sie einen Sprung. Mehrmals war sie schon runtergefallen, nie kaputt geworden. Den Tee trankest du nur aus dieser Tasse, weil du meintest, der Tee entfalte in dieser Tasse sein optimales Aroma, ich schmunzelte darüber jedes Mal. Ich goss den Tee zunächst in Kanne, das Teesieb quoll auf, der Geruch verbreitete sich allmählich im Raum, meine Augen glitten schnell an die Wand, ich beobachtete den Sekundenzeiger, wie er leise tickte und mir verrieten, dass ich noch 3 Minuten zu warten hatte. Im Hof hatte sich auch schon etwas Schnee angesammelt, ich sah eine Frau, die das Fenster offen hatte, und rauchend ein Telefonat erledigte. Auf dem Fensterbrett sammelte sich etwas Schnee. Morgen würde die Katze wieder ehrfürchtig vorsichtig eine Pfote in den Schnee drücken, dann Schritt für Schritt in den Schnee setzen. Jedes Jahr konnte sie sich nicht daran erinnern, dass wir auch schon letztes Jahr Schnee hatten, und sie entdeckte ihn jedes Jahr neu. Wir taten es ihr ähnlich, jedes Jahr war der erste Schnee wie ein Wunder, jede Schneeflocke so einzigartig, Staunen um Staunen. Vorsichtig goss ich den Tee in die Tassen, stellte die Kanne auf ihren Untersetzer, nahm die Tassen und schlich zurück zum Dachfenster, dass nun zu erkennen gab, dass das Dunkelblau bereits auf Besuch gekommen war. Gekrümmt lagst du nun da, du warst eingeschlafen. Ich setzte mich in den Ohrensessel, die Teetassen stellte ich auf den Nebentisch.

    Mr. Darcy wartete bereits in Derbyshire auf mich.