Vielleicht ist die Tatsache, dass du so wenig besitzt, Ausdruck einer Bindungsangst, hatte Johanna einmal gesagt und Caro hatte geantwortet, dass dann im Umkehrschluss all das Zeug in Johannas Wohnung Zeichen einer gewaltigen Verlustangst wäre, und sie hatten beide nicht gelacht.
Vielleicht ist die Tatsache, dass Ängste das zentrale Thema dieses Buches sind, Ausdruck einer Generation, die noch nicht abschätzen kann, was auf sie zukommt: Caro, Biochemikerin und Johanna, Theaterregisseurin lieben einander sehr, Caro hängt an ihrer Freundin ein Stück mehr und ist froh, als diese mit einer beruflichen Absage von Berlin wieder zurückkehrt. Mit im Gepäck hat Johanna aber eine Schwangerschaft von einem One-Night-Stand. Sie beschließt, Mutter zu werden und Caro beschließt, der zweite Elternteil zu werden. Zwei beste Freundinnen, die dem heteronormativen Konzept der Elternschaft einen alternativen Entwurf entgegenbringen wollen. Also zieht man zusammen; während Caro das „Nest“ feinsäuberlich vorbereiten will für den kleinen Dino, der da in Johanna heranwächst, schlägt sich diese die Nächte um die Ohren, hat lauten Sex, kommt tagelang nicht zuhause. Sie verarbeitet in ihrem letzten Theaterstück vor der Geburt all die grässlichen Erinnerungen, die sie an ihre psychisch kranke Mutter hat und legt damit ihre seelische Verfassung offen. Sie hält es nicht aus, dass sie für alle Menschen, insbesondere für Caro verschwindet und ihre Mutterschaft vor ihrer Individualität steht.
Johanna überlegte, ob eine Schwangerschaft so ähnlich war wie die Diagnose einer chronischen Krankheit. Ein Leben mit Einschränkungen.
Caro muss sich bezüglich ihrer Familie auch einschränken, die Herkunftsfamilie, die Johanna als Paradies wähnt, kann Caro so nicht bestätigen. Sie schweigt lieber über ihre zukünftige Rolle des Co-Parentings als dass sie ihrer Familie in Kärnten ihre neuen Pläne erzählt. Caro befindet sich deswegen in einem inneren Konflikt, die starren Normen ihrer Familie nicht auf ihre zukünftige, kleine Familie zu übertragen, zeitgleich Johanna Stabilität vermitteln zu können. Nicht nur Johanna fühlt sich in ihrer beruflichen Entwicklung eingeschränkt, sondern auch Caro, die ein Arbeitsangebot im Ausland erhält; doch Tag X kommt…
Tara C. Meister „erprobt“ hier literarisch ein neues Konzept der Elternschaft: Reicht es, wenn zwei sich nahestehende Menschen beschließen, gemeinsam ein Kind großzuziehen? Kann man dem gesellschaftlichen Druck standhalten? Das Gedankenexperiment wird jedoch nicht in ganzer Größe verhandelt und legt seinen Schwerpunkt mehr auf Ängste und Konflikte: Welche Konflikte darf man austragen, weil sie zum gemeinsamen Leben gehören? Welche Ängste nimmt man sich aus der Vergangenheit mit? Wie sehr ist man selbst noch das Kind seiner Eltern? Wie sehr darf man hinter Elternschaft als individuelle Person verschwinden?
Besonders diese letzten Fragen zeigen, dass Elternschaft etwas Universelles ist, das nicht unbedingt an Beziehungskonzept gebunden ist. Es zeigt auch, dass viele Konflikte das tiefe Band einer Freundschaft nicht zerreißen. Man verheddert sich in den Gefühlswelten und wird von Meister gut wieder hinausbegleitet, man wünscht sich eine Fortsetzung. Man kann denken: Das Buch ist eine Generalprobe für das eigene Leben.
Angst bekommt man als Lesende maximal von der Überfliegerin Tara C. Meister; die mit ihren 27 Jahren bereits ein Medizinstudium abgeschlossen hat, nun literarischen Schreiben in Leipzig studiert und bereits mehrfach mit Literaturpreisen ausgezeichnet wurde. Proben ist ihr erster Roman und sicher nicht der letzte. Die Freude über die Geschichten einer Schriftstellerin, die in Kärnten ihre Wurzeln hat, ist jedenfalls sehr groß.
Information: Tara C. Meister: Proben. Residenz Verlag. 256 Seiten. ISBN: 9783701717842, 24 Euro
Ich danke der Autorin für das Rezensionsexemplar.