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[Sterbenswörtchen] Alexander Greiner.


Wer sind diese großartigen Autor/-innen, die hie und da ein Sterbenswörtchen verlieren?  Mein letzter Gast für 2018 ist Alexander Greiner.  Alex (*1980) wurde in meiner Heimat in Mostviertel geboren, lebt mittlerweile in Wien und hat eine beachtliche Karriere hingelegt – vom Softwarenentwickler zum Unternehmensberater, verschiedene Intermezzi als Barista genauso wie Executive Housekeeper in Kroatien. Nichtsdestotrotz ist Alex ein großartiger Schriftsteller, der demnächst seinen Debütroman veröffentlichen wird. Bekannt wurde Alex durch Briefe aus dem Sturm – eine Anthologie, die perfekt für freie Tage ist und man Sehnsucht nach mehr hat. Alex hatte mit einem schweren Schicksalsschlag zu kämpfen – schließlich erhielt er die Diagnose Krebs.  Mit dem Wissen, wie schnell man in Richtung Endstation Leben fahren kann, hat er sich viele Gedanken gemacht:

Was bedeutet der Tod für dein Schreiben?

Der Tod ist ein Tabu und Tabus sind zum Brechen da. Wenn Menschen wie ich nicht darüber sprechen, wer tut es dann?

Als ich einem Freund von meiner Krebserkrankung berichtete, sagte er: »Beschäftige dich mit dem Tod.« Ich folgte dem Rat und lernte, dass im Leben oft das nicht Gesagte zählt: die unausgesprochenen Unklarheiten, die verschwiegenen Zwistigkeiten, Liebesbeweise, Entschuldigungen, Zugeständnisse und das Bitten um Vergebung. Wollen wir das alles mit ins Grab nehmen? Weil mir bewusst ist, dass ich sterbe, will ich all das, was mir wert ist nachzudenken, mit meinem Schreiben klären und all das,was mir wert zu sagen ist, in Sätze gießen. Da der Krebs überstanden scheint, werde ich dafür noch viel Zeit haben.

Wie politisch ist der Tod?

Warum die Politik den Tod konsequent ausblendet, ist mir schleierhaft. Wenn es sich um das Schnellfahren auf der Autobahn, die nebeldicht verqualmte Gastronomie, die Volksdroge Alkohol, häusliche Gewalt, Altersarmut und Abschiebung dreht, schert sich die Politik einen Dreck um den Tod. Wir leben es der Obrigkeit nach, weil wir uns nicht einschränken wollen – schließlich geht es um die persönliche Freiheit. Ist doch unser Problem, wann und wo und wieso wir uns einen Glimmstängel zwischen die Lippen schieben und den x-ten Schnaps in die Birne knallen. Oder nicht? Den Politiker_innen ist der Tod egal, weil sie nicht so weit blickt. Er liegt jenseits jeder Legislaturperiode und gehört zum Leben dazu. Ist das der Grund, warum sie ihn ignoriert? Weil er unaufhaltsam ist, wie die Politik es von sich selbst glaubt? In einem Punkt ist die Politik aber sehr wohl am Tod interessiert: wenn er sich populistisch instrumentalisieren lässt. Anhand solch pietätlosem Verhalten können wir erahnen, wie unaufhaltsam sich manche Politiker_innen wähnen.

Wie wirkt der Tod in sozialen Medien?

Eventuell liegt es an meiner Filterblase, dass mir der Tod in den sozialen Medien äußerst selten begegnet.Wenn ich auf ihn treffe, dann in zwei Fällen: Entweder durchbricht er das allgegenwärtige Delirium der Unterhaltungskultur, weil er eine prominente Person geholt hat oder jemand wie ich schreibt einen neuen Beitrag zu Tod und Sterben. Meistens ist es Zweiteres. Wenn eine prominente Persönlichkeit verstorben ist, sehe ich online Folgendes: Alle Welt ist aus dem Häuschen, wie unvorhergesehen jemand von uns gegangen ist, von der oder dem zuvor geglaubt wurde, sie oder er verweilte ewig unter uns. Schließlich gehört Prominenz uns allen und wir wollen nichts verlieren. Vielleicht sind die Menschen aber nur deshalb so entsetzt, weil sie für einen kurzen Moment erkennen, dass sie endlich sind. Sicher verfliegt diese Klarheit, alsbald sie durch neue Katzenfotos oder Trailer ihrer Lieblingsserie abgelenkt werden.

Was bleibt von Menschen, wenn sie nicht mehr sind?

Es bleibt Zeug zurück. Beim einen massenhaft, beim anderen weniger, wenn sie oder er schon zeitlebens auf Minimalismus setzte oder es zeitgerecht unter die Leute brachte. Das Materielle ist aber nicht das, was zählt. Was wirklich von Menschen bleibt, wenn sie uns verlassen haben, ist das, was sie ausgelöst und weitergegeben haben: ihre Werte, Lebenseinstellungen, Fähigkeiten und ihre Liebe. Das wirkt in jenen Menschen weiter, mit denen sie zu Lebzeiten intensiv in Kontakt standen. Wir sollten weniger schaffen und mehr wirken, um ein erfülltes Leben zu haben.

Was bleibt, wenn du gehst? Was geht, wenn du bleibst?

Wenn ich gehe, bleibt mein Geist in den Erinnerungen meiner Freund_innen und Familie. Hoffentlich behalten sie den Gedanken an einen liebevollen Menschen, der bewirkt hat, was in seiner Macht stand. Ich werde unzählige Notizbücher und das eine oder andere publizierte Buch zurücklassen. Diese verblassen jedoch, wenn ich nicht mehr bin.

Wenn ich bleibe, geht alles. Alles vergeht mit der Veränderung. Die Unbeständigkeit zieht sich konstant durch unser Leben. Sie istein ewiger Prozess, ohne den es kein Leben gäbe – oder es wäre bedeutungslos kurz. Mir gefällt die Idee, dass dieser stete Wandel das ewige Leben ist.

Welches Kunstwerk drückt den Tod am besten aus?

Viele verknüpfen den Tod mit der Farbe Schwarz. Ich nicht, denn er hat eine unbeschreibliche Weite, die jenach Stimmung in tiefes Blau, zeitloses Weiß oder sattes Rot getränkt ist. Wie die Drei-Farben-Trilogie des polnischen Regisseurs Krzysztof Kieślowski aus den frühen 1990er-Jahren. Kieślowskis Filmen sind die Themen Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit übergeordnet. Das hat zwar auf den ersten Blick nichts mit dem Tod zu tun, aber wie er diese Inhalte transportierte, zeigt mir, dass Leben und Tod dicht nebeneinanderliegen. Die Filme illustrieren Trauer, Verlust, Zäsur, Wut, Hoffnung, Reue, Fürsorge und viele weitere Aspekte von Sterben und Tod in unterschiedlicher Weise. Das Werk macht Mut. Schließlich sollten wir im Leben nicht zögern, in schwierigen Situationen Energie zu schöpfen und in Bewegung zubleiben. Damit wir selbstwirksam sind und Freiheit erlangen.

Wie viele Tode kann man sterben?

Wenn Veränderung das ewige Leben ist, können wir so viele Tode sterben, wie wir wollen. Wir haben es selbst in der Hand, ein Leben, das sich nicht gut anfühlt, aufzugeben. Das ist aber keine Ermutigung zum Suizid! Wir können das Leben jederzeit im Rahmen unserer Möglichkeiten verändern. Das ist eine Notwendigkeit. Alle sind aufgefordert, ihr Leben bewusst zu gestalten, statt fremdbestimmt einer Schablone nachzuleben. Dazu gehört, unpassende Lebensumstände zu beenden. Es belebt, den Tod einer solchen Lebensphase zu erfahren.

Welchen Zustand hat der Tod?

Ich glaube, der Tod ist deshalb so spannend und angsteinflößend, weil er flüchtig ist. Er ist nicht fassbar – im Gegensatz zum Sterben. Den Sterbeprozess können wir mit allen Sinnen wahrnehmen. Je nachdem, wie weit wir uns darauf einlassen, ermöglicht er uns, ihn bewusst zu erleben. Der Tod ist allerdings nur ein halber Atemzug.

Inwieweit beeinflusst der Glaube/Nichtglaube den Tod?

Der Glaube beeinflusst den Tod so weit, wie wir ihn zelebrieren. An diesem Punkt kann der Glaube unterschiedlich stark wirken und sogar maximalem Einfluss ausüben. Sterbe- und Trauerrituale und festgefahrene Traditionen beeinflussen unser aller Tod. Jeder Mensch ist angehalten, für sich zu überlegen, was zu seinem Leben passt und wie mit seinem Tod umgegangen werden soll. Der Nichtglaube beeinflusst den Tod ingenau derselben Weise, denn auch er ist letztendlich ein Glaube. Unsere Religionen bieten Thesen dafür, was beim und nach dem Tod mit uns passiert. Das ist aber nicht die Frage. Für mich geht es darum, dass »es« weitergeht, das Leben, oder eine Form von Leben, von der wir jetzt, in unserer aktuellen menschlichen Existenz, noch keine Vorstellung haben. Oder wer kann von sich behaupten, im Mutterleib das Leben in der Erdatmosphäre vorausgeahnt zu haben? Der Tod ist nicht das Ende von allem.

Was bedürfe einer Änderung in der Welt, bevor man geht?

Akzeptieren wir den Tod und überwinden wir die Angst davor. Nehmen wir ihn als das an, was er ist: Teil unseres Lebens. Lösen wir das Tabu auf und leben wir im Bewusstsein, dass unsere Körper nicht von Dauer sind. Leben wir so, wie es Bronnie Ware in ihrem Buch »5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen« darstellt: weniger arbeiten, die eigenen Gefühle ausdrücken, Kontakt zu Freund_innen halten, mehr Mut haben und glücklicher sein. Mag sein, dass das die Lösung vieler Konflikte auf der Erde wäre und für der hin das Menschenheil.

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[Sterbenswörtchen] Helmut Scharner.

Wer sind diese großartigen Autor/-innen, die hie und da ein Sterbenswörtchen verlieren? Meinen neuen Gast lernte ich als Roman in der Buchhandlung meines Vertrauens kennen.  Es war vorletztes Jahr an Weihnachten, als ich das Buch in die Hände nahm und die ersten Seiten anlas. Ich war erstaunt. Wirklich? Ein Kriminalroman über meine Heimat? Unsicher, dass dem tatsächlich so sei ging ich zu meiner Buchhändlerin, die meine Fragen mit „Ja, ein Debütkriminalroman! und ja, ein Autor aus unserer Gegend!“ beantwortete und in das Buch gleich ein Lesezeichen legte und mich fragte, ob ich denn wieder eine Stofftasche für den Mostviertler mithätte.  Schnell gekauft und gelesen, wusste ich, dass das etwas Längerfristiges zwischen mir und Helmut Scharner würde. Ich musste nicht lange warten und konnte im April 2017 den nächsten Roman lesen – Mostschlinge,  wie der erste Band im Gmeiner Verlag erschienen. Seitdem warte ich auf den nächsten Kriminalroman ganz ungeduldig.  Helmut hat bereits zwei weitere Romane geschrieben: Nordlicht oder Sari  und Blues und Tango. Bemerkenswert neben seinem schriftstellerischen Tätigkeiten ist, dass Helmut schon über 50 Länder bereist hat. Er hat sich auf eine weitere Reise eingelassen: Die mit mir über den Tod zu reden. Ich freue mich sehr, dass er mir Rede und Antwort stand:

 

Was bedeutet der Tod für dein Schreiben?
Da ich Kriminalromane schreibe, spielt der Tod in meinen Texten eine zentrale Rolle. Meine Leser begleiten nicht nur den Kommissar bei seiner Suche nach dem Täter, sondern sie leiden, trauern und hassen auch mit den Angehörigen der Opfer mit. Als Autor muss ich mich diesen Gefühlen meiner handelnden Figuren stellen, besonders schwer ist mir das in einer Szene gefallen, bei der sich eine meiner Figuren selbst das Leben nimmt.

 

Wie politisch ist der Tod?
Der Tod an sich ist nicht politisch und man hat auch nicht die freie Wahl, ob man sich für oder gegen den Tod entscheidet. Früher oder später ereilt er jeden. Die Politik jedoch hat Einfluss darauf, wann und wie der Tod die Menschen heimsucht. Gesetze können einen gesünderen Arbeitsplatz und einen sicheren Straßenverkehr bewirken und so für ein längeres Leben sorgen. Wenn Politik hingegen versagt, kann das für Menschen Elend und Tod bedeuten.

 

Wie wirkt der Tod in sozialen Medien?
Nach meiner Erfahrung wurde der Tod lange aus den sozialen Medien ausgespart, ist in den letzten Jahren aber sichtbarer geworden. Dabei stelle ich zwei unterschiedliche Strömungen fest. Einerseits zeigen Angehörige jetzt auch ihre Trauer in sozialen Medien und erhalten dadurch von ihren Freunden und Bekannten Anteilnahme. Ein Weg den man begrüßen kann. Andererseits wird der Tod jedoch auch von unterschiedlichen Gruppierungen missbraucht, um eigene Interessen zu verfolgen, Ängste zu schüren und auszugrenzen, was sehr bedenklich ist.

 

Was bleibt von Menschen, wenn sie nicht mehr sind?
Die Erinnerungen ihrer Angehörigen und Freunde und was sie erschaffen haben. Je nachdem wie intensiv und nachhaltig sie gelebt, geliebt und etwas erschaffen haben, bleiben sie also kürzer oder länger in Erinnerung.

 

Was bleibt, wenn du gehst? Was geht, wenn du bleibst?
Wenn ich gehe, lebt ein Teil von mir in meiner Tochter weiter. Wenn ich bleibe, kann ich mein Kind noch länger unterstützen und begleiten.

Als Autor bleiben meine bisherigen Romane zurück und viele bisher unveröffentlichte Textentwürfe. Wenn ich länger lebe, steigt die Wahrscheinlichkeit, etwas zu schreiben, das vielleicht über meinen Tod hinaus gelesen wird. Viele Autoren träumen wahrscheinlich davon, aller Voraussicht nach ist es mir, wenn ich Tod bin, jedoch vollkommen egal, ob ich zu diesem Kreis gehöre oder nicht.

 

Welches Kunstwerk (Buch,Film,Text, Musik, Bild) drückt den Tod am besten aus?
Hier gibt es viele Werke, die zu erwähnen wären, sofort ist mir jedoch eines in den Sinn gekommen – und zwar: Die Bücherdiebin von Markus Zusak.

Mittlerweile gibt es dazu auch einen gut umgesetzten Film, ich empfehle aber zuerst das Buch zu lesen. Markus Zusak und der Tod höchstpersönlich erzählen die Geschichte der kleinen Liesel in Deutschland während des zweiten Weltkrieges.

 

Wie viele Tode kann man sterben?

Nur einen Tod stirbt man letztendlich tatsächlich. Es können uns jedoch viele kleine Schritte dem Tod immer ein Stückchen näherbringen.
Unsere Mitmenschen können uns derart kränken oder solche Schmerzen zufügen, dass es sich jeweils wie ein „kleiner Tod“ anfühlt. Also können wir unzählige „kleine Tode“ sterben, solange wir sie zulassen und uns nicht wehren.

 

Welchen Zustand hat der Tod?
Den Tod selbst stelle ich mir als zustandslos vor. Die Frage aller Fragen lautet, kommt etwas nach dem Tod? Und falls ja, was?

 

Inwieweit beeinflusst der Glaube/Nichtglaube den Tod?
Glaube gibt uns Hoffnung, dass es nach dem Tod weitergeht. Der Gläubige vertraut darauf, wieder mit seinen Liebsten vereint zu sein und selbst mit dem Tod nicht vollkommen ausgelöscht zu werden. Regeln für ein gutes Zusammenleben wurden von den Geistlichen aufgestellt, mit dem Hinweis auf eine Hölle nach dem Tod, wenn wir uns nicht an ihre Vorgaben halten.

Leider wird der Glaube in seiner extremsten Form auch missbraucht und die Gläubigen werden manipuliert. Dabei spielt das Versprechen an ein besseres Leben nach dem Tod oft die zentrale Rolle.

Nichtgläubige können sich nicht an die Hoffnung an ein Leben nach dem Tod klammern. Sie müssen daher versuchen im Hier und Jetzt ein gelungenes Leben zu führen. Theoretisch könnte also der Gläubige im Angesichts des Todes hoffnungsfroh sein und der Ungläubige traurig oder verzweifelt. Letztendlich liegt es an jedem Menschen, wie er damit umgeht, hilfreich ist mit Sicherheit, egal ob gläubig oder nichtgläubig, wenn man im Angesicht des Todes auf ein erfülltes Leben zurückblicken kann.

 

Was bedürfe einer Änderung in der Welt bevor man geht?
Leider viel, insofern kann ich hier nur einige Beispiele nennen. Oft habe ich das Gefühl, selbst zu wenig bewirken zu können, obwohl man im Kleinen beginnen muss. Meine Familie und ich schaffen es, lokale Biolebensmittel zu kaufen, um einerseits die heimischen Bauern zu fördern und andererseits dem Einsatz von Pestiziden entgegenzuwirken. Hier gibt es in Österreich viele Menschen, die ähnlich handeln und dadurch wird dann auch tatsächlich etwas bewegt und geändert.

Meiner Meinung nach wäre es wichtig, den Menschen die Angst vor dem Fremden und Unbekannten zu nehmen. Dadurch hätten Politiker und Extremisten weniger Möglichkeiten mit hohlen Phrasen und Ausgrenzung ihre Anhänger zu gewinnen, zu polarisieren und die Menschen gegeneinander aufzuhetzen.

 

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[Sterbenswörtchen]: Andreas Gruber.

Wer sind diese großartigen Autor/-innen, die hie und da ein Sterbenswörtchen verlieren? Es sei gesagt: Der Autor, der diesmal meine Fragen beantwortet hat, sagt von sich selbst:  „Schriftstellerei bedeutet für mich, dass ich interessante Figuren erfinden darf, ohne in der Psychiatrie zu landen – und Menschen auf originelle Weise ermorden kann, ohne im Gefängnis zu landen. Aber sonst bin ich ein netter Kerl.“ Man muss dazu sagen: Er ist wirklich ein netter Kerl. Seine Lesungen sind hörenswert, weil sie spannend sind und auch sehr lustig. Seine Bücher sind bewunderswert und man muss seine Figuren lieben, dasselbe gilt für seine Bücher. Die Rede ist von Bestseller-Autor Andreas Gruber, der mit Frau und fünf Katzen (ich sagte ja ein netter Kerl!) in Grillenberg (Niederösterreich) wohnt und Preisträger des Skoutz-Awards, des Leo-Perutz-Krimi-Preises der Stadt Wien, der Herzogenrather Handschelle, dreifacher Gewinner des Vincent Preises und dreifacher Gewinner des Deutschen Phantastik Preises ist. Seine Romane erschienen als Übersetzung in Frankreich, Italien, Brasilien, Türkei, Japan, Korea, Russland und Polen, er schrieb hunderte Beiträge für Anthologien, welche mittlerweile auch als Theaterstücke adaptiert sind und als Hörspiel verfügbar sind. Andreas Gruber ist Erfinder der Rache-Reihe um den kauzigen Ermittler Walter Pulaski und der Todes-Reihe um den niederländischen Profiler Maarten S. Sneijder (ich liebe diese Figur so sehr!). Gruber gibt Schreibworkshops, spielt leidenschaftlich gern Schlagzeug und wartet bis heute auf einen Anruf der Rolling Stones. Umso mehr freut es mich, dass er Zeit gefunden hat, auf meine Fragen zu antworten:

 

Was bedeutet der Tod für dein Schreiben?

Der Tod bringt ja für die Hinterbliebenen viel Emotionen mit sich, und Emotionen – ganz gleich welcher Art, wie Liebe, Hass, Leidenschaft, Wut, Eifersucht, Trauer – sind die Basis für jede Story. Das war schon bei den griechischen Tragödien, bei Shakespeare und bei Edgar Allan Poe so. Sie sind der Motor für die Motivation der Figuren, damit sie angetrieben werden. So gesehen ist auch der Tod ein wichtiger Bestandteil einer spannenden Story.

Wie politisch ist der Tod?

Manchmal ist der Tod sogar sehr politisch, vor allem der gewaltsame Tod, wenn man sich ansieht, was in der Welt mit politischen Gegnern gemacht wird und was bei Kriegen passiert.

Wie wirkt der Tod in sozialen Medien?

Meiner Erfahrung nach werden die sozialen Medien wie Facebook, WhatsApp oder Twitter eher nur für Lustiges, Humorvolles und Witziges verwendet. Auf ernste Dinge wie Tod, Verlust oder Trauer stoße ich dort nur selten. Manchmal führt aber extremer Gebrauch von sozialen Medien, wie Mobbing, leider auch zum Tod, vor allem bei Jugendlichen, was ich sehr schockierend finde.

Der Tod ist sicherlich ein großer Themenbereich im Darknet, aber damit habe ich mich noch nie beschäftigt. Das interessiert mich nicht.

Was bleibt von Menschen, wenn sie nicht mehr sind?

Erinnerungen. Darum finde ich Friedhöfe so schön. Sobald ich eine Städtereise mache, schaue ich mir dort die Friedhöfe an. Manchmal besuche ich Gräber berühmter Persönlichkeiten wie Oscar Wilde oder Jim Morrison. Dadurch geraten diese Menschen nie in Vergessenheit.

Und was meine eigene Arbeit als Schriftsteller bestrifft: Ich schreibe deshalb, weil ich Menschen unterhalten möchte, aber auch deshalb, weil ich Spuren auf diesem Planeten hinterlassen möchte. Wenn ich einmal nicht mehr bin, das kann in 40 Jahren sein, wenn ich neunzig bin, aber das kann schon in einer halben Stunde sein, wenn ich einen Herzinfarkt oder Gehirnschlag habe, dann möchte ich, dass etwas von mir weiterexistiert: Meine Bücher, meine Geschichten, meine Figuren.

Wie ein Erfinder, der die Glühlampe erfunden hat, oder wie ein Architekt, der den Eiffelturm gebaut hat, oder wie eine Band, die das Album „Yellow Submarine“ aufgenommen hat, möchte ich etwas erschaffen, das nach meinem Tod weiterlebt – als eine winzige Fußnote in der Geschichte, die daran erinnert: Du hast gelebt!

Was bleibt, wenn du gehst? Was geht, wenn du bleibst?

Den ersten Teil habe ich ja schon vorhin beantwortet: Ich hoffe, viele spannende Geschichten, die die Menschen  auch noch nach meinem Tod unterhalten werden.

Zum zweiten Teil der Frage: Was geht, wenn du bleibst? Ich hoffe, dass noch viel Kreativität und Schaffensfreude möglich ist, solange ich bleibe, und dass ich die Zeit finde, noch alle Ideen, die ich habe, zu Papier bringen zu dürfen.

Welches Kunstwerk (Buch, Film, Text, Musik, Bild) drückt den Tod am besten aus?

Der französische Horrorfilm „Martyrs“ von Pascal Laugier aus dem Jahr 2008. Den kann ich aber nur Menschen mit starken Nerven empfehlen. Obwohl er so schrecklich ist, mit schlimmen, fast schon unerträglichen Splatter-Szenen, ist er dennoch tiefsinnig und hat eine philosophische Botschaft, was den Tod betrifft.

Wie viele Tode kann man sterben?

Das ganze Leben kann eine endlose Aneinanderreihung von Toden sein. Menschen in Kriegsgefangenschaft, oder eingesperrt im Keller eines Pädophilen, von Kindheit an blind oder an den Rollstuhl gefesselt sein. Das sind so schreckliche Dinge, die im Leben passieren können, dass es mir die Seele zerreißt, wenn ich länger darüber nachdenke.

Welchen Zustand hat der Tod?

Da ich noch nicht gestorben bin, kann ich die Frage nicht beantworten, aber ich denke einen Erlösenden.

Inwieweit beeinflusst der Glaube/Nichtglaube den Tod?

Wenn man sich religiösen Fanatismus ansieht, leider sehr stark. Ich persönlich bin ein religiös ungläubiger Mensch. Ich fühle mich zwar zum Buddhismus hingezogen, für mich ist das aber eher eine Philosophie und Lebenseinstellung und keine Religion.

Was bedürfe einer Änderung in der Welt bevor man geht?

Bevor ich diese letzte Frage beantworte, möchte ich noch eines kurz erwähnen: Dieses Interview hat mir extrem Spaß gemacht und mir gut getan, weil ich meine grauen Zellen in Schwung bringen musste, da nicht die üblichen endlos nerven Fragen kamen: „Woher nimmst du deine Ideen?“ Deshalb möchte ich dir für diese interessante Abwechslung danken.

So, was bedarf einer Änderung? Die Lebenserwartung der Menschen! Würden die Menschen eine durchschnittliche Lebenserwartung von 200 Jahren haben, würden sie die Umwelt und diesen Planeten nicht so schamlos ausbeuten und alles vernichten. Und Politiker müssten nicht 4 oder 5 Jahre im Amt bleiben, sondern 60 Jahre und einen langfristigen Plan zur Steigerung der Lebensqualität ihrer Bevölkerung haben. Leider ist genau das Gegenteil der Fall: Wir verhalten uns wie Eintagsfliegen auf diesem Planeten.

 

Ich möchte mich ebenso bei dir, Andreas, bedanken! Es freut mich sehr, dass du mir Rede und Antwort gestanden hast.

 

Andreas Gruber anderswo:

Andreas Gruber – Autoren- Homepage
Andreas Gruber –  Verlagsgruppe Random House
Andreas Gruber – Luzifer Verlag
Andreas Gruber – Facebook Fanpage

 

Bisher erschienen:

Storykollektionen:

  • Die letzte Fahrt der Enora Time, SF-Erzählungen, Shayol, 2001
  • Northern Gothic, Horror-Erzählungen, Luzifer, 2015
  • Apocalypse Marseille, SF-Erzählungen, Luzifer, 2016
  • Jakob Rubinstein, Krimi-Novellen, Luzifer, 2017
  • Der fünfte Erzengel, Horror-Erzählungen, Luzifer, 2017
  • Ghost Writer, Horror-Erzählungen, Luzifer, 2018

Romane:

  • Der Judas-Schrein, Mystery-Thriller, Hockebooks, 2005
  • Das Eulentor, Mystery-Thriller, Hockebooks, 2007
  • Herzgrab, Thriller, Goldmann, 2013

Peter Hogart Reihe:

  • Die Schwarze Dame, Thriller, Goldmann, 2007
  • Die Engelsmühle, Thriller, Goldmann, 2008

Walter Pulaski Reihe:

  • Rachesommer, Thriller, Goldmann, 2011
  • Racheherbst, Thriller, Goldmann, 2015
  • Rachewinter, Thriller, Goldmann, 2018

Maarten S. Sneijder Reihe:

  • Todesfrist, Thriller, Goldmann, 2013
  • Todesurteil, Thriller, Goldmann, 2015
  • Todesmärchen, Thriller, Goldmann, 2016
  • Todesreigen, Thriller, Goldmann, 2017

 

[Sterbenswörtchen] Markus Grundtner.

Wer sind die tollen Autor/-innen, die ein an und wann  Sterbenswörtchen verlieren? Ein weiterer großartiger Autor ist Markus Grundtner. Autor im Werden, Anwalt im Sein und Journalist im Ruhestand – so charakterisiert Markus sich selbst. Markus schreibt viel und gut, laut und leise – veröffentlichte bereits in mehreren Literaturzeitschriften (DUM, Radieschen, Mosaik, etc.) und mittlerweile ist Markus auch auf CD zu hören, wie dies bei Stereofeder zu vernehmen ist. Dieses Jahr hat Markus den Publikumspreis des Wiener Werkstättenpreises für Literatur gewonnen. Markus war so furchtbar nett und beantwortete mir meine Fragen zum Thema Tod und Sterben.

 

Was bedeutet Tod für dein Schreiben?

Wie im richtigen Leben ist der Tod hier immer anwesend, auch wenn nicht über ihn gesprochen wird.

Ein kleines Beispiel aus der Angestelltenwelt, in der meine Texte aktuell oft angesiedelt sind: Man hänge einfach ein „o“ an das Wort Tod, setze einen Abstand in die Mitte, schon wird aus dem „Tod“ das „To Do“ – all das, was noch zu erledigen ist, all das, was Punkt für Punkt abgehakt werden muss, bevor die Deadline schlagend wird.

Erlebnismäßig hat der Tod also, weil er nicht einmal ausdrücklich genannt werden muss, ein immenses Gewicht. Meine Charaktere versuchen, ihn mit ihrem Dasein aufzuwiegen. Sie wollen das zustande bringen, was gemeinhin als gutes Leben gilt. Dabei stellen sie sich mehr oder weniger geschickt an. Doch immer schalte ich mich als Autor mit der Überlegung dazwischen, ob die Vorstellungen davon, was ein gutes (anders gesagt: wertvolles) Leben ist, nicht hinterfragt werden sollten.

Wie politisch ist der Tod?

Mit dem Tod lässt sich ein ganzes politisches Programm gestalten. Hinter den gängigen Versprechungen, die Kriminalität einzudämmen, den Terrorismus zu bekämpfen, vor Naturkatastrophen zu schützen und das Gesundheitssystem zu perfektionieren, steht nichts anderes als eine Instrumentalisierung der Angst.

Aber auch Politiker fürchten sich vor dem Tod, weil ihn die Menschen selbst wählen können. Deshalb zeigt sich ein anderes politisches Moment in der laufenden Diskussion, ob und inwieweit sich Menschen zur allgemeinen Verfügung halten müssen und nicht über ihr eigenes Ableben entscheiden dürfen. Es geht hier um das letzte Stück Freiheit, das sich schwerlich regeln und sanktionieren lässt. Man denke da etwa an die paradoxen, aber rechtsgeschichtlich belegten Fälle einer Todesstrafe für Selbstmordversuch.
Wie wirkt der Tod in sozialen Medien?

Als Reigen der Anteilnahme. Aus verschiedenen Lebenswelten landen Todesnachrichten in der eigenen Timeline. Es bleibt wenig Zeit, sich damit auseinanderzusetzen. Je nach Unglücksfall folgt als Reaktion eine Solidaritätsbekundung durch ein Posting („Mein Beileid.“) oder ein immer wieder neu adaptiertes Bild („Je suis […]“).

Ich halte dies alles für eine Form der Trauerarbeit, die sich aus den Bedingungen der sozialen Medien ergeben hat – viele Nachrichten, große Distanzen und reduzierte Aufmerksamkeitsspanne. Es zeigt, dass Trauer eine reinigende Funktion für denjenigen hat, der nicht unmittelbar Betroffener ist. Denn oft erreichen die Statusmeldungen die Hinterbliebenen gar nicht.

Wird die Trauer aber persönlicher und differenzierter – wenn man unmittelbar oder mittelbar betroffen ist –, schaffen soziale Medien neue Kanäle und Vernetzungsmöglichkeiten. Gleichzeitig erinnern uns soziale Medien, welche Kraft ein handgeschriebener Brief oder eine echte Umarmung immer noch hat und auch immer haben wird.

Was bleibt von Menschen, wenn sie nicht mehr sind?

Die Erinnerungen, die andere Menschen von ihnen haben, und die wiederum an andere weitergegeben werden. Es bleiben aber auch die Einflüsse, die ein Mensch auf andere unmittelbar oder mittelbar hatte. Einflüsse, die sich ausgewirkt haben und damit fortwirken. Sobald diese Kette der Weitertradierung abreißt, bleibt an dieser Front wohl gar nichts übrig.

Dann gibt es aber noch die handfesten Spuren, die ein Mensch hinterlassen hat, angefangen bei Gegenständen, die er mit eigenen Händen geschaffen hat – eine Zeichnung oder eine Skulptur – oder auch geschrieben hat – ein Buch bzw. andere Texte wie Briefe (ja, die gibt es, wie schon erwähnt, noch). Vergessen darf man auch nicht die Eintragungen über eine Person in amtlichen Archiven, die oft einfach nur darauf beruhen, dass jemand existiert hat und an einem bestimmten Ort anwesend war.

Zurück bleiben also die Dinge, die ein Mensch auf die eine oder andere Weise durch seine Präsenz geschaffen hat. Die andere Frage, die sich mir stellt, ist aber, ob das, was ein Mensch macht, auch einen Menschen aus ihm macht.

Was bleibt, wenn du gehst? Was geht, wenn du bleibst?

Wenn ich gehe, bleiben hoffentlich die Geschichten, die über mich erzählt werden, und die Geschichten, die ich erzählt habe.

Solange ich da bin, arbeite ich jedenfalls an Nachschub. Dabei vergeht meine Zeit. Es vergehen aber auch meine Träume und Ideen, entweder indem ich sie erfülle bzw. umsetze oder indem ich sie ungenutzt liegen lasse.

Welches Kunstwerk (Buch, Film, Text, Bild) drückt den Tod am besten aus?

Am Ende des Films „The Man Who Wasn’t There“ der Coen-Brüder sinniert der Protagonist zuerst über das Jenseits – wo der Mensch nach dem Tod hinkommt und was ihn dort erwartet –, dann denkt er an seine Frau, und sagt dabei:

I don’t know where I’m being taken. I don’t know what I’ll find, beyond the earth and sky. But I’m not afraid to go. Maybe the things I don’t understand will be clearer there, like when a fog blows away. Maybe Doris will be there. And maybe there I can tell her all those things they don’t have words for here.”

Und dieser letzte Satz fasst meines Erachtens den Tod und all unser vergebliches Bemühen – insbesondere jenes der Schriftsteller – am besten zusammen. Der Tod geht über uns hinaus, weil er schon über unsere Fähigkeit, ihn zu erfassen, hinausreicht.

Wie viele Tode kann man sterben?

Über den Beat-Poeten Neal Cassidy gibt es einen Film, dessen Titel die Frage am besten beantwortet, nämlich: „The Last Time I Committed Suicide“. Man kann unendlich viele Tode sterben. Geht eine Beziehung zu Ende, hört die gemeinsame Zukunft zweier Menschen auf zu existieren. Aber das gilt auch im Kleinen: Wenn ich mich entscheide, ein Buch nicht fertig zu lesen, gibt es den Menschen nicht mehr, der weitergelesen und die ganze Geschichte erfahren hätte.

Ich kann einen dieser Tode aus eigener Entscheidung sterben, es kann aber – wie bei einem Unfall – auch einen Tod aufgrund äußerer Umstände geben. In meiner Vorstellung gibt es unendlich viele Möglichkeiten, um zu leben, und wenn wir auf einem bestimmten Pfad landen, verschwinden manch andere Optionen, weil sich oft keine zweite Chance auftut, diese Wege doch noch zu gehen.

Welchen Zustand hat der Tod?

Stillstand und Leere. Jemand, der einmal betriebsam und rastlos war, rührt sich nicht mehr. Die Hülle ist noch da, aber das Wesentliche nicht. Als Kind hatte ich die verquere (und im Nachhinein betrachtet beängstigende) Vorstellung, dass mit dem Ableben nur der Körper aufhört zu funktionieren, der Geist aber im Leib weiterexistiert. Der Tod war nach dieser kindlichen Idee also ein Zustand des Gefangenseins. Wäre es tatsächlich so, könnte man diesen Umstand nur damit ausgleichen, den Leichnam irgendwo zu platzieren – beispielsweise, um einen malerischen Ausblick aufs Meer zu haben, oder ihn in einen Kinosessel zu setzen –, damit der Geist wenigstens etwas zu sehen bekommt und nicht in einem Loch unter der Erde verkümmert. Klarerweise würde das aber dazu führen, dass man bald überall auf der Welt über Tote stolpert.

Inwieweit beeinflusst der Glaube/Nichtglaube den Tod?

Obwohl es eine tröstliche Vorstellung sein mag, dass nach dem Tod noch etwas folgt, das ich bewusst wahrnehmen kann, denke ich eher, dass der Tod das große Nichts sein wird. Ich glaube also nicht an eine Existenz nach dem Tod, ich lasse mich aber gerne überraschen.

Was bedürfe einer Änderung in der Welt bevor man geht?

Dass die Wiederholung der Weltgeschichte durchbrochen wird. Schon langsam sollte sich ein Grundkonsens historischer Fehler herausgebildet haben. Das zu erreichen – wenn auch für den Anfang nur im Kleinen – wäre auch etwas, wodurch ein Mensch bleiben könnte. Wenn meine Kinder die gleichen Fehler machen wie ich, kann schwerlich gesagt werden, dass in dieser Hinsicht etwas von mir geblieben ist.

 

Danke für das Interview.

 

Markus bei Twitter.

[Sterbenswörtchen]: Jennifer Düing.

Wer sind die großartigen Autor/-innen, die hie und da ein Sterbenswörtchen verlieren? Mein Gast für den Monat April ist Jennifer Düing, vielen bekannt als @nachtblau und @goldmomente von Twitter. Jennifer bezeichnet sich selbst als Poesietwitterin und mag Kultur, Ballett und kleine, wunderbare, subtile Dinge. Zurzeit arbeitet Jennifer beim Festspielhaus Baden-Baden als Internetmanagerin – der Kunst den Vorrang gegeben, ist Jennifer aber ebenso eine grandiose Sozialarbeiterin mit viel Herz.  Ihr derzeitiges Projekt Postkartenautorin liegt ihr sehr am Herzen – schon bald wird es ein Poesie-Postkarten-Abo geben. Menschen, die so sehr am Leben hängen, so viele Farben finden für all die Dinge, die man später schmerzlich vermisst, für den täglichen Optimismus, den man liest, müssen auch zum Thema Tod und Sterben befragt werden:

 

Was bedeutet Tod für dein Schreiben?

Wenn ich an den Tod denke, kommt mir oft die Zeit in den Sinn, als ich anfing auf Twitter zu schreiben. Damals arbeitete ich mit alten Menschen. Das war eine schöne, wenn auch fordernde Arbeit, besonders fordernd war die Allgegenwärtigkeit des Todes.

Einer meiner Lieblingstweets schrieb ich damals:

Heut lernte ich eine Frau kennen, die auf alles eine Antwort hatte: ‘Nein.’

Wenige Tage später starb diese Frau, die sich zuvor nicht mehr anders als mit diesem einem Wort ausdrücken konnte, das aber alles bedeuten konnte.

Schreiben bedeutet für mich in diesem Zusammenhang erinnern. Erinnern, an den Menschen, den ich traf, der jetzt nicht mehr da ist.


Wie politisch ist der Tod?
Für mich ist der Tod weniger ein politisches Thema, als vielmehr ein persönliches. Der Tod hat für den Mensch, der gegangen ist, keine Bedeutung mehr. Nur für die, die noch leben, hat es große Auswirkungen. Sie müssen damit umgehen. Sie müssen damit leben, dass nun jemand fehlt. Und dieser Prozess des Umgangs ist sehr persönlich.

Der Tod sollte allerdings ethisch sein. Wenn er nicht ethisch stattfindet, seit es durch Gewalt oder Unterlassung von Hilfe, dann ist auch der Tod politisch.

 

Wie wirkt der Tod in sozialen Medien?
Der Umgang mit dem Tod wandelt sich, insbesondere die Art zu trauern. Es gibt Menschen, die ich durch Twitter kennenlernte und so an ihrem Leben teilhaben kann und manchmal auch ihren Tod vernahm. Was ich merke, ist, dass mir der Abschied schwerer fällt. Das Facebook-Profil wird immer wieder beschrieben. Verlinkungen tauchen auf. Tweets werden retweetet. Dadurch bleibt der Verlust des Menschen allgegenwärtig und das Verblassen der Erinnerungen ziemlich schwer.

 

Was bleibt von Menschen, wenn sie nicht mehr sind?

Was bleibt ist immer die Erinnerung. Erinnerungen an Begegnungen, Gespräche, Berührungen. Erinnerungen, ans gemeinsames Lachen und Kuchen essen. Erinnerungen, an die letzten Worte, die gewechselt wurden. Und was bleibt bin ich selbst, der eben diese Erinnerungen am Leben erhalten kann.

 

Was bleibt, wenn du gehst? Was geht, wenn du bleibst?

Alles bleibt, wenn ich gehe – nur nicht ich. Meine Worte bleiben. Die Farben bleiben. Die Menschen bleiben. Selbst meine Liebe bleibt.

Was geht, ist die Zukunft. Die gibt es dann nicht mehr.

 

Welches Kunstwerk (Buch, Musik, Film, Text, Bild) drückt den Tod am besten aus?
Ein Film, der mich immer an den Tod erinnert ist “Hinter dem Horizont”. Eine Frau leidet an Depressionen, bringt sich selbst um und landet dann in der Hölle, welches ein von ihr gemaltes Bild ist. Ihr Mann, der sie über alles liebt, möchte sie retten und begibt sich auf die Suche nach ihr, und obwohl es niemand glaubt, findet er sie. Ihre Welt ist so verdunkelt durch Selbsthass, dass es ihr nicht mehr möglich ist, ihn zu erkennen. Erst durch die Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse dringt er zu ihr durch – und kann sie so aus der Hölle begleiten.

Ja, etwas plakativ, jedoch machte mir der Film sehr deutlich welche Rolle Erinnerungen und gemeinsame Erlebnisse im Leben spielen. Es ist das, was verbindet – über den Tod hinaus.

 

Wie viele Tode kann man sterben?
“Da bin ich 1.000 Tode gestorben” wie häufig habe ich das schon gesagt, wenngleich ich weiß, dass es nur einen Tod gibt, den ich irgendwann sterben werde. Und doch, kleine Tode bin ich schon oft gestorben, nicht nur, wenn ich Angst überwunden habe, auch wenn ich etwas hinter mir ließ, ganz besonders, wenn es mir viel bedeutet hat. Denn das Sterben ist am Ende ein großes Loslassen.

 

Welchen Zustand hat der Tod?

Der Tod ist endlich. Das Ende vom Leben. Tod ist der Übergang, in etwas, was nicht mehr ist.

 

Inwieweit beeinflusst der Glaube/Nichtglaube den Tod?
Als ich mit den alten Damen und Herren gearbeitet habe, spielte Glaube oft eine Rolle. Sie erzählten Geschichten aus früheren Zeiten und schlossen mit dem Leben langsam ab. Dieses Reden half, denn offene Themen konnte so Ruhe finden. Und das waren die Momente, in denen Glaube half, zu glauben, dass das alles Sinn macht, dass das Leben Sinn hat und dass es einen Plan gibt – vielleicht auch über den Tod hinaus. Manche Menschen beruhigte das.

 

Was bedürfe einer Änderung in der Welt bevor man geht?

Ganz persönlich gesehen ist für mich wichtig, am Abend ins Bett zu gehen und zu wissen und zu fühlen, dass das ein Tag war, der gut war, so wie er war. Natürlich ist das nicht tagtäglich möglich und doch habe ich mir gesagt, dass die Tage weniger Alltag und mehr Leben sein sollte. Wie das Leben zu füllen ist, muss allerdings jeder für sich beantworten. Und wenn jeder für sich sein Leben so gestaltet, dass er damit zufrieden ist, sind wir schon ein ganzes Stück weiter diese Welt lebenswert zu machen.

 

 

Danke für das Interview, Jennifer!

 

Jennifer im Internet: Postkartenautorin / Postkartenautorin auf Instagram / twitter /  Postkartenautorin auf facebook / Nachtblau – Twitter

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