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[Sterbenswörtchen]: Andreas Gruber.

Wer sind diese großartigen Autor/-innen, die hie und da ein Sterbenswörtchen verlieren? Es sei gesagt: Der Autor, der diesmal meine Fragen beantwortet hat, sagt von sich selbst:  „Schriftstellerei bedeutet für mich, dass ich interessante Figuren erfinden darf, ohne in der Psychiatrie zu landen – und Menschen auf originelle Weise ermorden kann, ohne im Gefängnis zu landen. Aber sonst bin ich ein netter Kerl.“ Man muss dazu sagen: Er ist wirklich ein netter Kerl. Seine Lesungen sind hörenswert, weil sie spannend sind und auch sehr lustig. Seine Bücher sind bewunderswert und man muss seine Figuren lieben, dasselbe gilt für seine Bücher. Die Rede ist von Bestseller-Autor Andreas Gruber, der mit Frau und fünf Katzen (ich sagte ja ein netter Kerl!) in Grillenberg (Niederösterreich) wohnt und Preisträger des Skoutz-Awards, des Leo-Perutz-Krimi-Preises der Stadt Wien, der Herzogenrather Handschelle, dreifacher Gewinner des Vincent Preises und dreifacher Gewinner des Deutschen Phantastik Preises ist. Seine Romane erschienen als Übersetzung in Frankreich, Italien, Brasilien, Türkei, Japan, Korea, Russland und Polen, er schrieb hunderte Beiträge für Anthologien, welche mittlerweile auch als Theaterstücke adaptiert sind und als Hörspiel verfügbar sind. Andreas Gruber ist Erfinder der Rache-Reihe um den kauzigen Ermittler Walter Pulaski und der Todes-Reihe um den niederländischen Profiler Maarten S. Sneijder (ich liebe diese Figur so sehr!). Gruber gibt Schreibworkshops, spielt leidenschaftlich gern Schlagzeug und wartet bis heute auf einen Anruf der Rolling Stones. Umso mehr freut es mich, dass er Zeit gefunden hat, auf meine Fragen zu antworten:

 

Was bedeutet der Tod für dein Schreiben?

Der Tod bringt ja für die Hinterbliebenen viel Emotionen mit sich, und Emotionen – ganz gleich welcher Art, wie Liebe, Hass, Leidenschaft, Wut, Eifersucht, Trauer – sind die Basis für jede Story. Das war schon bei den griechischen Tragödien, bei Shakespeare und bei Edgar Allan Poe so. Sie sind der Motor für die Motivation der Figuren, damit sie angetrieben werden. So gesehen ist auch der Tod ein wichtiger Bestandteil einer spannenden Story.

Wie politisch ist der Tod?

Manchmal ist der Tod sogar sehr politisch, vor allem der gewaltsame Tod, wenn man sich ansieht, was in der Welt mit politischen Gegnern gemacht wird und was bei Kriegen passiert.

Wie wirkt der Tod in sozialen Medien?

Meiner Erfahrung nach werden die sozialen Medien wie Facebook, WhatsApp oder Twitter eher nur für Lustiges, Humorvolles und Witziges verwendet. Auf ernste Dinge wie Tod, Verlust oder Trauer stoße ich dort nur selten. Manchmal führt aber extremer Gebrauch von sozialen Medien, wie Mobbing, leider auch zum Tod, vor allem bei Jugendlichen, was ich sehr schockierend finde.

Der Tod ist sicherlich ein großer Themenbereich im Darknet, aber damit habe ich mich noch nie beschäftigt. Das interessiert mich nicht.

Was bleibt von Menschen, wenn sie nicht mehr sind?

Erinnerungen. Darum finde ich Friedhöfe so schön. Sobald ich eine Städtereise mache, schaue ich mir dort die Friedhöfe an. Manchmal besuche ich Gräber berühmter Persönlichkeiten wie Oscar Wilde oder Jim Morrison. Dadurch geraten diese Menschen nie in Vergessenheit.

Und was meine eigene Arbeit als Schriftsteller bestrifft: Ich schreibe deshalb, weil ich Menschen unterhalten möchte, aber auch deshalb, weil ich Spuren auf diesem Planeten hinterlassen möchte. Wenn ich einmal nicht mehr bin, das kann in 40 Jahren sein, wenn ich neunzig bin, aber das kann schon in einer halben Stunde sein, wenn ich einen Herzinfarkt oder Gehirnschlag habe, dann möchte ich, dass etwas von mir weiterexistiert: Meine Bücher, meine Geschichten, meine Figuren.

Wie ein Erfinder, der die Glühlampe erfunden hat, oder wie ein Architekt, der den Eiffelturm gebaut hat, oder wie eine Band, die das Album „Yellow Submarine“ aufgenommen hat, möchte ich etwas erschaffen, das nach meinem Tod weiterlebt – als eine winzige Fußnote in der Geschichte, die daran erinnert: Du hast gelebt!

Was bleibt, wenn du gehst? Was geht, wenn du bleibst?

Den ersten Teil habe ich ja schon vorhin beantwortet: Ich hoffe, viele spannende Geschichten, die die Menschen  auch noch nach meinem Tod unterhalten werden.

Zum zweiten Teil der Frage: Was geht, wenn du bleibst? Ich hoffe, dass noch viel Kreativität und Schaffensfreude möglich ist, solange ich bleibe, und dass ich die Zeit finde, noch alle Ideen, die ich habe, zu Papier bringen zu dürfen.

Welches Kunstwerk (Buch, Film, Text, Musik, Bild) drückt den Tod am besten aus?

Der französische Horrorfilm „Martyrs“ von Pascal Laugier aus dem Jahr 2008. Den kann ich aber nur Menschen mit starken Nerven empfehlen. Obwohl er so schrecklich ist, mit schlimmen, fast schon unerträglichen Splatter-Szenen, ist er dennoch tiefsinnig und hat eine philosophische Botschaft, was den Tod betrifft.

Wie viele Tode kann man sterben?

Das ganze Leben kann eine endlose Aneinanderreihung von Toden sein. Menschen in Kriegsgefangenschaft, oder eingesperrt im Keller eines Pädophilen, von Kindheit an blind oder an den Rollstuhl gefesselt sein. Das sind so schreckliche Dinge, die im Leben passieren können, dass es mir die Seele zerreißt, wenn ich länger darüber nachdenke.

Welchen Zustand hat der Tod?

Da ich noch nicht gestorben bin, kann ich die Frage nicht beantworten, aber ich denke einen Erlösenden.

Inwieweit beeinflusst der Glaube/Nichtglaube den Tod?

Wenn man sich religiösen Fanatismus ansieht, leider sehr stark. Ich persönlich bin ein religiös ungläubiger Mensch. Ich fühle mich zwar zum Buddhismus hingezogen, für mich ist das aber eher eine Philosophie und Lebenseinstellung und keine Religion.

Was bedürfe einer Änderung in der Welt bevor man geht?

Bevor ich diese letzte Frage beantworte, möchte ich noch eines kurz erwähnen: Dieses Interview hat mir extrem Spaß gemacht und mir gut getan, weil ich meine grauen Zellen in Schwung bringen musste, da nicht die üblichen endlos nerven Fragen kamen: „Woher nimmst du deine Ideen?“ Deshalb möchte ich dir für diese interessante Abwechslung danken.

So, was bedarf einer Änderung? Die Lebenserwartung der Menschen! Würden die Menschen eine durchschnittliche Lebenserwartung von 200 Jahren haben, würden sie die Umwelt und diesen Planeten nicht so schamlos ausbeuten und alles vernichten. Und Politiker müssten nicht 4 oder 5 Jahre im Amt bleiben, sondern 60 Jahre und einen langfristigen Plan zur Steigerung der Lebensqualität ihrer Bevölkerung haben. Leider ist genau das Gegenteil der Fall: Wir verhalten uns wie Eintagsfliegen auf diesem Planeten.

 

Ich möchte mich ebenso bei dir, Andreas, bedanken! Es freut mich sehr, dass du mir Rede und Antwort gestanden hast.

 

Andreas Gruber anderswo:

Andreas Gruber – Autoren- Homepage
Andreas Gruber –  Verlagsgruppe Random House
Andreas Gruber – Luzifer Verlag
Andreas Gruber – Facebook Fanpage

 

Bisher erschienen:

Storykollektionen:

  • Die letzte Fahrt der Enora Time, SF-Erzählungen, Shayol, 2001
  • Northern Gothic, Horror-Erzählungen, Luzifer, 2015
  • Apocalypse Marseille, SF-Erzählungen, Luzifer, 2016
  • Jakob Rubinstein, Krimi-Novellen, Luzifer, 2017
  • Der fünfte Erzengel, Horror-Erzählungen, Luzifer, 2017
  • Ghost Writer, Horror-Erzählungen, Luzifer, 2018

Romane:

  • Der Judas-Schrein, Mystery-Thriller, Hockebooks, 2005
  • Das Eulentor, Mystery-Thriller, Hockebooks, 2007
  • Herzgrab, Thriller, Goldmann, 2013

Peter Hogart Reihe:

  • Die Schwarze Dame, Thriller, Goldmann, 2007
  • Die Engelsmühle, Thriller, Goldmann, 2008

Walter Pulaski Reihe:

  • Rachesommer, Thriller, Goldmann, 2011
  • Racheherbst, Thriller, Goldmann, 2015
  • Rachewinter, Thriller, Goldmann, 2018

Maarten S. Sneijder Reihe:

  • Todesfrist, Thriller, Goldmann, 2013
  • Todesurteil, Thriller, Goldmann, 2015
  • Todesmärchen, Thriller, Goldmann, 2016
  • Todesreigen, Thriller, Goldmann, 2017

 

With a little help from my friends.

Ich weiß noch, wir sind im Auto gesessen und haben die Beatles gehört. Es ist nicht die Musik unserer Generation, wir hören sie trotzdem. Wir kennen die Lieder von unseren Eltern, sie schätzten sie nie so sehr wie wir. Deine Finger trommeln leise am Lenkrad mit, du wusstest nicht, dass es eine Twist&Shout Version von den Beatles gibt. Ich erzähle dir, dass John Lennon das Lied mit Heiserkeit eingesungen hat und deshalb seine Stimme tiefer klang. Es interessiert dich nur mäßig, du singst lieber falsch mit.

Wir sind unterwegs, irgendwo hin und ich wünschte, dieses unterwegs sein endet nie. Long and windy road könnten wir hören, aber es würde uns zu melancholisch stimmen. Wir hören stattdessen „With a little help from my friends“ und ich werde trotzdem traurig. Bald weißt du, dass es eine sehr berühmte Joe Cocker Version von dem Lied gibt und einmal weiß ich mehr von Populärkultur als du.

Was ich nicht sage ist, dass ich zu der Version von Joe Cocker Sex haben will. In der Anmaßung uns gegenseitig zu zerstören, would you stand up and walk out on me, du weißt, ich käme davon mit einer little help of my friends. Ich brauch jemanden zum Lieben, somebody to love schon 1967 und nicht erst mit Queen 1976. Lieber zum Fenster rausschauen, statt dir zu sagen, dass man zu dem Lied Liebe machen muss und nicht Sex haben, weil Joe Cocker soviel Leidenschaft reingepackt hat, dass Sex zu wenig ist, das muss verdammt noch mal Liebe sein. How to feel about the end of the day und bleib und geh nicht weg und ich will dir sagen, dass ich nicht so ungeliebt wie der fünfte Beatle Brian Epstein enden mag. Aber dich zu diesem Song lieben, ja das will ich, mit all der Melancholie, die ich auftreiben kann und all dem Ungesagten, das in mir boxt und nicht rauskann. I can’t tell you but it’s mine.

Was würdest du tun, if I sang you a song? Ich weiß es nicht, aber es wäre wohl schmerzhaft für dich. Alles was ich über dich sage, ist für dich schwer zu verkraften. Keine Widmungen mehr, hatte ich dir geschworen und es schon hundertmal gebrochen, ich kann nicht von dir schweigen und nicht über dich schweigen, es war Liebe auf den ersten Blick, nein, aufs erste Wort und es passiert nicht die ganze Zeit, das ist wie mit ersten Sätze in Büchern, die wenigsten sind wirklich gelungen. Wie wird es uns gelingen, neue Welten zu erklimmen. Little help to get high? Mit dir oder dem langgehegten Wunsch LSD auszuprobieren. Es ist nicht unsere Zeit dafür, wir wollen das erleben, leider keine Zeitmaschine in die Sechziger nach London und endlich würden deine Schnurrbartversuche nicht mehr lächerlich aussehen. Lakonisch könnten wir der Ästhetik frönen, wir könnten Kostümierungen anziehen, in den Apple Store von den Beatles gehen und er wäre soviel besser als die Apple Stores dieser Tage. Wir könnten in Pubs gehen und Bier trinken und die Welt weniger als einzige Anstalt des Scheiterns betrachten. Wir könnten 7 Tage im Bett liegen als Protest, wie Yoko und John, Kunstausstellungen besuchen und kuratieren und so tun als wären wir Teil der Advantgarde, und uns über unseren Lieblingsbeatle lustig machen, weil er sich beim Mofa-Fahren einen Zahn ausgeschlagen hat und sich deswegen die ganzen Beatles Bärte stehen ließen. Ich kann dir nicht permanent sagen, wie gut dein Bart aussieht, heute tut er es, und er tut es immer, und wir sollten Zigaretten rauchen. Wir sollten uns auch vier Stunden in einen Raum einsperren und so einen Song schreiben, der die ganze Weltgeschichte verändert, in Zeitungen einen besseren Titel finden als Bad Finger Boogie. Oder wir könnten uns in transzendentaler Meditation üben und Maharishi toll finden, oder auch nicht und lieber indisch essen gehen und danach mit vollen Bäuchen ins Bett fallen. Ich bin so voll mit dir, von unten bis oben, mir zerbricht der Brustkorb, so voll ist er, mit all dem, was du mir sagst und denkst und lachst und are you sad because you’re on your own?

Maybe you get by with a little help from your friends. Wir fahren weiter, nächster Titel.

Bildnachweis.

Hundertsechsundzwanzig Stunden.

Wenn du weg bist, sieht alles verwaschen aus. Die Wohnung, in der wir leben, der Himmel, wie ein Himmel von Manet, wie rote Frauen von Garache. Da ist diese, deine braune Tasche auf dem Bett, ein Teller voller Krümel, deine Schuhe. Da ist dein Durst letzter Nacht noch sichtbar, eine ausgetrunkene Wasserflasche, womöglich eine zweite unter dem Bett. Da ist das Fenster, das von letzter Nacht erzählt, als man betrunkene Jugendliche vorbeilaufen hörte und um vier Uhr morgens die Müllabfuhr. Da ist irgendwo über, unter, neben dir Musik aus den Neunzigern, die jeder kennt und niemand mehr hört. Halbschlaf, tiefer Schlaf, Viertelschlaf, auf der einen und der anderen Seiten, ein guter Gedanke, Albtraum, Sehnsucht nach Morgen. Es ist leer, wenn du gehst, und doch so voll, wenn du kommst. Zahnbürste, Seife, Zahnbürste, rotes Handtuch, irgendwo ein blaues, Löffel, Tisch, Tüte, Bett. Das Wetter meint es gut mit dir, und doch ist immer wieder Weltuntergang, wenn du gehst. Heute ist das Wetter blau, rot und lila, und manchmal ein bisschen weiß, von den Wolken, die mehr gesehen haben, als ich an manchen Tagen. Überall nichts, überall Welt, hier ein Universum und da ein Planet. Planetenbahn, Autobahn, Bahnhaltestelle.

Du magst Bahnhaltestellen, aber nur wenn sie ästhetisch sind. Alt und ästhetisch oder neu und ästhetisch, es spielt keine Rolle. Ästhetisch und echt. Aber das Echte lässt sich so schlecht finden, sagst du immer. Eingepfercht in einem Lebensgefühl, das so gar nicht passt. Wir sehen so ästhetisch aus, wenn wir in den Park gehen, auf den Kinderspielplatz, Schaukel an Schaukel mit Bier, keine Kinder, viele Kinder, wir sind Kinder. Hast du dich gefragt, was ich mich gefragt hab. Hast du was gesagt, und ja und ja und nein und nein und hundertmal ein Brummen und Okay.

Heute ist Postkartenwetter, eine Stadt, dahinter ein Feld. Bist du schon lange wach und ein Mhm. Deine Stimme zerläuft, sie ist anders als sonst, tiefer, sonorer, wie ein Haselnusskaffee aus dem Automaten. Ein Schulterzucken auf deine Frage, ein Blick in deine Richtung, ein Alles und ein Nichts, es bleibt beim Nichts. Ob sich heute schon wer gemeldet hat, zwei Anrufe, drei Nachrichten, auf deinem Telefon weiß ich nicht, schau selbst. Da ein Anruf, da eine Nachricht, verschlafene Augen, verwaschener Mund, ein Mundwinkel zieht sich schwach nach oben, der andere noch neutral, er entscheidet noch, was für ein Tag heute wird.

Heute ist Markt, ich gehe alleine, du schläfst. Lachsfarbene Häuser, gelbe Häuser, kaputte Fassaden, Fassade, Hülle, Oberfläche, Maske, mein Gesicht. Sonnenschein, verhalten, eine Sommersprosse, dann die nächste Sommersprosse, Fischmarkt, mehr Muscheln als Fische. Zuviel Geruch für den Morgen, da eine Bäckerei, Post, eierschalenfarbene Fassaden, kein Kaffee, du schläfst.

126 Stunden bis alles wieder anders ist. Heute lachst du viel, du lachst heute so als wärst du der Herbst. Herbst ist meine Lieblingsjahreszeit. Es ist nun dein Lachen. Du bist schön anzusehen, wenn du lachst, in dein Telefon hinein, eine Welt, du bist mit Kopfhörern verbunden. Manchmal bist du eine eigene Welt, umgedreht zur Wand, zwischen Buch und Musik oder Fernsehen. In 119 Stunden wirst du schlafen gehen, von einer Welt träumen, die du zuvor im Kino gesehen hast. Schnelle Welt, gute Welt.

Ob 126 Stunden genug sind, habe ich mich fragen hören, in den Innenhof hinein. Ob du dann bei mir bleibst, trotz allem, habe ich mich schweigen hören. Innenhof, rote Hängematte, zwei Kammern, frische Wäsche, schlechte Musik über den anderen Innenhof, stöhnende Frau von Osten, Schatten, Holzbank, Fragen.

Ich habe dir nie erzählen können, wie das ist, wenn du gehst. Da ist dein Ladekabel, und es ist das, woran ich mich klammere. Dass du da bleibst, weil dein Ladekabel da ist und deine Bücher und du gehst nicht ohne deine Bücher. Der Raum riecht nach dir, er riecht nach deinen Hoffnungen, deinen ungesagten Gefühlsregungen. Ich will dir etwas hinterlassen. Etwas, dass du hast, wenn ich gehe. Ein Foto. Auf deiner Kamera. Ich fotografiere mich. Im Spiegel. Ernst. Angestrengt. Du sagst ich schaue angestrengt, ich sage, du siehst müde aus. Wir sind müde und angestrengt. Müde des Lebens, angestrengt vom gegenseitigem Ablösen. Du fehlst.

Ich bin zurück und das Wetter ist anderswo prächtig habe ich dich sagen hören. Ich bin noch da will ich mich sagen hören. Dem Drang widerstehen, wegzulaufen, wir besteigen Berge. Im Garten hier ist es schön, sagst du mir und du willst auch ein Haus mit Garten und malen und existieren. Ich will auch ein Haus mit Garten, aber lieber eine Altbauwohnung mit Balkon, wir verlaufen konträr.

Bist du noch wach, bist du noch da, schweige ich dir im Schlaf entgegen. Im Mondlicht das angekettete Fahrrad bewundern, die ganze Woche stand es da. Du hast es auch bemerkt. Ich liege alleine, du bist nicht da, du bist nicht wach. Du bist fern, weiter als sonst. Ich höre dich reden und träumen, die Welt dort ist soviel schöner als hier. Ich werde dir nicht fehlen.

Bildnachweis.

[Sterbenswörtchen]: Jennifer Düing.

Wer sind die großartigen Autor/-innen, die hie und da ein Sterbenswörtchen verlieren? Mein Gast für den Monat April ist Jennifer Düing, vielen bekannt als @nachtblau und @goldmomente von Twitter. Jennifer bezeichnet sich selbst als Poesietwitterin und mag Kultur, Ballett und kleine, wunderbare, subtile Dinge. Zurzeit arbeitet Jennifer beim Festspielhaus Baden-Baden als Internetmanagerin – der Kunst den Vorrang gegeben, ist Jennifer aber ebenso eine grandiose Sozialarbeiterin mit viel Herz.  Ihr derzeitiges Projekt Postkartenautorin liegt ihr sehr am Herzen – schon bald wird es ein Poesie-Postkarten-Abo geben. Menschen, die so sehr am Leben hängen, so viele Farben finden für all die Dinge, die man später schmerzlich vermisst, für den täglichen Optimismus, den man liest, müssen auch zum Thema Tod und Sterben befragt werden:

 

Was bedeutet Tod für dein Schreiben?

Wenn ich an den Tod denke, kommt mir oft die Zeit in den Sinn, als ich anfing auf Twitter zu schreiben. Damals arbeitete ich mit alten Menschen. Das war eine schöne, wenn auch fordernde Arbeit, besonders fordernd war die Allgegenwärtigkeit des Todes.

Einer meiner Lieblingstweets schrieb ich damals:

Heut lernte ich eine Frau kennen, die auf alles eine Antwort hatte: ‘Nein.’

Wenige Tage später starb diese Frau, die sich zuvor nicht mehr anders als mit diesem einem Wort ausdrücken konnte, das aber alles bedeuten konnte.

Schreiben bedeutet für mich in diesem Zusammenhang erinnern. Erinnern, an den Menschen, den ich traf, der jetzt nicht mehr da ist.


Wie politisch ist der Tod?
Für mich ist der Tod weniger ein politisches Thema, als vielmehr ein persönliches. Der Tod hat für den Mensch, der gegangen ist, keine Bedeutung mehr. Nur für die, die noch leben, hat es große Auswirkungen. Sie müssen damit umgehen. Sie müssen damit leben, dass nun jemand fehlt. Und dieser Prozess des Umgangs ist sehr persönlich.

Der Tod sollte allerdings ethisch sein. Wenn er nicht ethisch stattfindet, seit es durch Gewalt oder Unterlassung von Hilfe, dann ist auch der Tod politisch.

 

Wie wirkt der Tod in sozialen Medien?
Der Umgang mit dem Tod wandelt sich, insbesondere die Art zu trauern. Es gibt Menschen, die ich durch Twitter kennenlernte und so an ihrem Leben teilhaben kann und manchmal auch ihren Tod vernahm. Was ich merke, ist, dass mir der Abschied schwerer fällt. Das Facebook-Profil wird immer wieder beschrieben. Verlinkungen tauchen auf. Tweets werden retweetet. Dadurch bleibt der Verlust des Menschen allgegenwärtig und das Verblassen der Erinnerungen ziemlich schwer.

 

Was bleibt von Menschen, wenn sie nicht mehr sind?

Was bleibt ist immer die Erinnerung. Erinnerungen an Begegnungen, Gespräche, Berührungen. Erinnerungen, ans gemeinsames Lachen und Kuchen essen. Erinnerungen, an die letzten Worte, die gewechselt wurden. Und was bleibt bin ich selbst, der eben diese Erinnerungen am Leben erhalten kann.

 

Was bleibt, wenn du gehst? Was geht, wenn du bleibst?

Alles bleibt, wenn ich gehe – nur nicht ich. Meine Worte bleiben. Die Farben bleiben. Die Menschen bleiben. Selbst meine Liebe bleibt.

Was geht, ist die Zukunft. Die gibt es dann nicht mehr.

 

Welches Kunstwerk (Buch, Musik, Film, Text, Bild) drückt den Tod am besten aus?
Ein Film, der mich immer an den Tod erinnert ist “Hinter dem Horizont”. Eine Frau leidet an Depressionen, bringt sich selbst um und landet dann in der Hölle, welches ein von ihr gemaltes Bild ist. Ihr Mann, der sie über alles liebt, möchte sie retten und begibt sich auf die Suche nach ihr, und obwohl es niemand glaubt, findet er sie. Ihre Welt ist so verdunkelt durch Selbsthass, dass es ihr nicht mehr möglich ist, ihn zu erkennen. Erst durch die Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse dringt er zu ihr durch – und kann sie so aus der Hölle begleiten.

Ja, etwas plakativ, jedoch machte mir der Film sehr deutlich welche Rolle Erinnerungen und gemeinsame Erlebnisse im Leben spielen. Es ist das, was verbindet – über den Tod hinaus.

 

Wie viele Tode kann man sterben?
“Da bin ich 1.000 Tode gestorben” wie häufig habe ich das schon gesagt, wenngleich ich weiß, dass es nur einen Tod gibt, den ich irgendwann sterben werde. Und doch, kleine Tode bin ich schon oft gestorben, nicht nur, wenn ich Angst überwunden habe, auch wenn ich etwas hinter mir ließ, ganz besonders, wenn es mir viel bedeutet hat. Denn das Sterben ist am Ende ein großes Loslassen.

 

Welchen Zustand hat der Tod?

Der Tod ist endlich. Das Ende vom Leben. Tod ist der Übergang, in etwas, was nicht mehr ist.

 

Inwieweit beeinflusst der Glaube/Nichtglaube den Tod?
Als ich mit den alten Damen und Herren gearbeitet habe, spielte Glaube oft eine Rolle. Sie erzählten Geschichten aus früheren Zeiten und schlossen mit dem Leben langsam ab. Dieses Reden half, denn offene Themen konnte so Ruhe finden. Und das waren die Momente, in denen Glaube half, zu glauben, dass das alles Sinn macht, dass das Leben Sinn hat und dass es einen Plan gibt – vielleicht auch über den Tod hinaus. Manche Menschen beruhigte das.

 

Was bedürfe einer Änderung in der Welt bevor man geht?

Ganz persönlich gesehen ist für mich wichtig, am Abend ins Bett zu gehen und zu wissen und zu fühlen, dass das ein Tag war, der gut war, so wie er war. Natürlich ist das nicht tagtäglich möglich und doch habe ich mir gesagt, dass die Tage weniger Alltag und mehr Leben sein sollte. Wie das Leben zu füllen ist, muss allerdings jeder für sich beantworten. Und wenn jeder für sich sein Leben so gestaltet, dass er damit zufrieden ist, sind wir schon ein ganzes Stück weiter diese Welt lebenswert zu machen.

 

 

Danke für das Interview, Jennifer!

 

Jennifer im Internet: Postkartenautorin / Postkartenautorin auf Instagram / twitter /  Postkartenautorin auf facebook / Nachtblau – Twitter

[Sterbenswörtchen] Daniel Spitz.

Wer sind diese großartigen Autor/-innen, die ein Sterbenswörtchen verlieren? Einer davon ist Daniel Spitz, Jungautor aus München. Daniel schreibt, wenn er nicht gerade bei Kunst & Spiel seine Zeit verbringt, wunderschöne Geschichten auf seinem Blog Seavity.  Der grandioser Schriftsteller war bereit mir meine Fragen zum Tod und Sterben zu beantworten:

Was bedeutet Tod für dein Schreiben?
Das Leben mündet im Tod, damit mündet das Schreiben im Tod. Mein Leben, das hat ein Ende, doch meine Literatur, mein Werk, das lebt weiter. Das erfüllt mich mit Trauer, aber auch mit Glück.

Wie politisch ist der Tod?
Der Tod ist eines der einzigen Themen, das nicht politisch sein kann. Jede politische Debatte, jeder Gesetzesentwurf sollte sich nicht um den Tod kümmern, sondern wie wir sterben wollen. Was wollen wir auf diesem Weg erhalten und wer darf schließlich über ein Sterben entscheiden, wenn ich es selbst nicht kann? Oder darf ich überhaupt selbst über meinen Tod entscheiden? Also, Dinge die im Tod enden sind politisch, nicht der Tod als solches. Sprich: Das Leben ist politisch, nichts was danach passiert.

Wie wirkt der Tod in sozialen Medien?
Wie jedes andere Thema auch und ich bin mir unsicher ob das gut oder schlecht ist. Der Tod geht meistens genauso viral, wie ein lustiges Meme. Ein Tod eines „Normalsterblichen“ dafür nicht, der verbleibt für enge Freunde, bzw. oberflächliche Bekanntenkreise. Und dann kommen noch mehr Fragen auf. Was passiert beispielsweise mit meinen Profilen, mit meinen Wirken in sozialen Medien, wenn ich tot bin?

Was bleibt von Menschen, wenn sie nicht mehr sind?
All das was sie geschaffen haben. Ihr Werk, ihr Wirken, ihre Freundschaften, was sie sagten und für was sie einstanden.

Was bleibt/geht, wenn du gehst?
Meine Texte und ein volles Bücherregal. Alles andere wage ich nicht selbst zu bestimmen, andere entscheiden nach meinem Tod welche Dinge von mir bleiben, welche Dinge gehen sollten.

Welches Kunstwerk (Musik, Buch, Film, Text, Bild) drückt den Tod am besten aus?
Goethes Leiden des Jungen Werthers.

Wie viele Tode kann man sterben?
So viele, wie man zulässt.

Welchen Zustand hat der Tod?
Eigentlich ist der Tod ja das Vergänglichste, oder ist das Leben das Vergänglichste? Nun ja, er ist meist auf jeden Fall konservierend. Weiß ja niemand so genau.

Inwieweit beeinflusst der Glaube/Nichtglaube den Tod?
Ich glaube nicht, das der Glaube den Tod beeinflusst. Sehr wohl aber alle anderen die an einem Tod Anteilnahme haben.

Was bedürfe einer Änderung in der Welt bevor man geht?
Es bedürfe sich selbst zu ändern – der Ausgangspunkt für eine Veränderung der ganzen Welt.

 

Danke, Daniel.

Daniel lebt auch bei Instagram, Facebook, Twitter und auf seinem Blog.

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