Das Projekt [Sterbenswörtchen] lädt jeweils einen Autor/eine Autorin ein, Fragen über den Tod und über das Leben zu beantworten. Die Autorin Sarah Riedeberger macht den Anfang. Sarah beschäftigt sich seit Jahren mit dem Tod und ist eine Expertin zu diesem Thema. Auf ihrer Seite „Wir sind noch immer hier“ schreibt Sarah sehr viel zum Sterben und Abschied nehmen. 

Hier gehts zum Interview!

Was bedeutet Tod für dein Schreiben?

Alles. Früher war eine Art „Todessehnsucht“ ausschlaggebend. Heute ist meine Auseinandersetzung mit dem Tod schon eher verwandt mit einer Lebenssehnsucht. Und nicht grundlos sind die Sätze „Ich schreibe dir den Tod zu Füßen“ und „Der Tod spielt hier die Muse“, seit einer langen Zeit meine Begleiter. Im letzten Jahr hat mich der Tod durchweg beim Schreiben beeinflusst, deswegen habe ich irgendwann angefangen, hauptsächliche darüber zu schreiben. Aber auch bei Texten, die scheinbar nichts mit dem Tod zu tun haben, war und ist der Imperator nicht weniger der Tod, bzw. meine eigene Löchrigkeit nach einem Verlust.

Wie wirkt der Tod in sozialen Medien?

Der wirkt seit einer Weile ganz schön arg, geht viral, ist ehrlich, wahr und manchmal leider auch katastrophal. Aber die Frage ist ja, inwieweit man den Tod, der in sozialen Medien/Netzwerken präsent ist, zu dem zählen kann, was einen wirklich berührt oder beeinflusst. Denn obschon der Tod für mich sicherlich keine Belanglosigkeit ist – im Gegenteil – bin ich relativ abgeklärt, wenn es um den Tod einer prominenten Person geht. Manchmal habe ich deswegen ein schlechtes Gewissen, aber im Grunde kann ich ja auch nicht für jeden Menschen, der lebt, Liebe empfinden, weshalb dann Betroffenheit, wenn jemand geht? Aber was fernab von populären Nachrufen in kleinen Nischen so vor sich geht, finde ich ziemlich groß. Dass Menschen da ehrlich von ihrem Erlebten erzählen, von ihren Verlusten und dem darauffolgendem, neuen Leben. Das ist wirklich schon fast magisch, und schützt ein bisschen vor dem Versinken in der schonungslosen Einsamkeit. Nebenbei: Ein paar der besten Menschen, habe ich sogar durch/wegen/über den Tod in sozialen Netzwerken kennen gelernt.

 Was bleibt von Menschen, wenn sie nicht mehr sind?

Da bleibt eine ganze Menge. Vor allem Erinnerungen und Gefühle. Auch wenn man sich das kaum vorstellen kann: es gibt diese früheren Momente, die in die klaffenden Wunden fallen und ausfüllen und heilen und erkenntlich machen, was schon längst vergessen oder verdrängt war. Ein Verstorbener geht nie mit all seinem Krempel, da fällt noch eine Menge an, das man entsorgen oder in Schubladen einsortieren, das man im Herzen behalten kann. Ein Buch, das man lesen und ein Gericht, das man, in Gedanken an jemanden, essen könnte. Der Tod ist vielleicht das Wegsein eines Körpers, aber ja nicht das Wegfallen von Stützen und Erlebnissen. Der Verstorbene hat noch einen Namen, der hat noch einen Geburtstag, eine Haar- und Augenfarbe, Marotten und Gefühle, und irgendwo zwischen heute und morgen ist noch alte Liebe, ausgehend von jemandem, der scheinbar gar nicht mehr anwesend ist. Das kennt man ja. Das ist nach Trennungen doch auch das Einzige, was übrig bleibt. Die kleinen, zerknautschten Gefühle und Erinnerungen, die man so gut zu verdrängen scheint.

Was bleibt, wenn du gehst? Was geht, wenn du bleibst?

Auf jeden Fall ein sehr großer Haufen Papier und Notizbücher, angefangene Sätze und nie geschriebene Bücher. Aber was letztendlich, bis auf ein kleines Fleckchen auf einem Friedhof von mir als Erinnerung bleibt, entscheiden die, die ohne mich dann weiterleben. Es gibt Geschichten von mir im Internet, und welche in den Köpfen von Menschen, die mich wirklich kennen. Das ist schon echt gut, so wie es ist. Und ich glaube, das reicht aus, um nicht ganz in Vergessenheit zu geraten.

Welches Kunstwerk (Buch, Film, Text, Bild) drückt den Tod am besten aus?

„Wir haben Raketen geangelt“ von Karen Köhler beschreibt den Tod/das Sterben aus verschiedenen Winkeln.

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Wie viele Tode kann man sterben?

Das klingt wirklich uncool, aber exakt einen einzigen. Da bin ich mir ziemlich sicher. Alles andere sind nur gedankliche Knochenbrüche, Entzündungen in unseren Lebensgeschichten, scheitern am Tag, verzagen an der Nacht, hadern oder phrasenhaftes Fallen, aber richtig tot, wahrhaftig, mit allen Lichtern aus, ist man erst, wenn das Herz gar nicht mehr schlägt.

Welchen Zustand hat der Tod?

Die Beschaffenheit eines Toten liegt ja auch im Auge des Betrachters. Vielleicht sieht da jemand noch ein Zucken, nochmal ein Aufbäumen oder nach Luft schnappen, etwas Lebhaftes. Ich sehe kein Heben und Senken des Brustkorbes mehr, der Bauch ganz flach, das Gesicht starr. Der „sichtbare“ Zustand von Tod ist Leblosigkeit.

Inwieweit beeinflusst der Glaube/Nichtglaube den Tod?

Sterben müssen Nichtgläubige genau wie jene, die jeden Sonntag in die Kirche latschen, beten, nach allen Regeln einer Religion leben. Ebenso müssen auch Menschen, die keinen Glauben haben, Abschied nehmen. Und dafür muss man echt keine religiöse Haltung haben. Aber da ich nicht besonders gläubig bin, kann ich auch nicht genau sagen, ob es hilfreich ist. Aber ich denke, dass es nicht zwingend der Glaube ist, der den Umgang mit dem Tod beeinflusst, sondern der Mensch an sich, die Sensibilität, das Umfeld, und alleine schon die Sicht auf das Leben. Und die ist bei jedem Wesen so verschieden, dass man das wirklich nicht pauschal sagen kann.

Was bedürfe einer Änderung in der Welt bevor man geht?

Also bevor ich sterbe, wäre es auf jeden Fall ganz schön, wenn die Themen Tod und Trauer noch etwas mehr ins Leben integriert wären. Nichts ist trauriger, als die Vorstellung, dass sich niemand mehr an mich erinnert, „weil man ja nicht dauernd einen Toten erinnert“. Aber ganz im Allgemeinen wäre es schon gut, wenn die Furcht vor der eigenen Sterblichkeit nicht mehr Hand in Hand mit dem Verschweigen von Verlusten ginge. Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg. Und wer weiß, vielleicht machen meine Enkel irgendwann da weiter, wo ich angefangen habe und reden über meinen Tod.

 

Dankeschön für das Interview.

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