Monat: April 2023

  • [rezension] Alexandra Maria Rath | Süsses wildes Wien

    [rezension] Alexandra Maria Rath | Süsses wildes Wien

    ALLEN: Zuckergoscherln, Naschkätzchen und -katern, Schleckermäulern, Honiggleichen, Naturverbunden, Städte-Liebhabern & Liebhaberinnen.

    KURZ: Den süßen Wiener Mädeln und Buben sowie deren Habaran.

    Wien ist und bleibt eine lebenswerte Stadt, meistens sogar so lebenswert, dass sie mehrmals auf Platz 1 weltweit landete. Das liegt, so muss man zugeben, nicht am Wiener Grant (der durchaus sehr liebenswürdig sein kann), aber mit Sicherheit auch an der Vielfalt der süßen Köstlichkeiten und Mehlspeisen. Zugegebenermaßen kann man diese Behauptung nicht wirklich beweisen, das Kochbuch „Süsses wildes Wien“ von Alexandra Maria Rath liefert einen kleinen Beleg dafür:

    Auf 224 Seiten befinden sich 55 Rezepte, von denen ein Großteil vegan ist. Zuckerjunkies und Mehlspeisen-Aficionados werden mitgenommen auf eine Reise durch unterschiedlichste Bezirke, die Reise beginnt im ersten Bezirk an der Hofburg mit der Taubnessel und endet dort in der Nähe am Graben bei den Tannen zur Winterszeit. Dazwischen pflückt man Holunder und Holler in Ottakring, Kriecherl in Hietzing oder Kornelkirschen (Dirndln) draußen in Stammersdorf, das zu Floridsdorf gehört. Verarbeitet werden Wildpflanzen, Blüten, Wildobst und Nüsse. Die Pflanzen werden gesammelt an Wiener G’stetten, im Garten auf Balkonen oder Terrassen, in größeren Parkanlagen, in Wiesen und im Wald teilweise auch auf Friedhöfen, der achtsame Umgang mit dem Sammeln wird natürlich auch thematisiert.

    Das Buch unterteilt sich sowohl in 13 Kapitel, wobei jedes Kapitel einer besonderen Pflanze gewidmet ist und dem außergewöhnlichen Ort, wo diese Pflanze zu finden ist, also auch die Rezepte in drei Schwierigkeitsstufen. „Süsses wildes Wien“ will nicht nur als Backbuch verstanden werden, es ist ein Fremdenführer, ein Lustmacher und ein Naschaufruf in gleichem Maße.

    Die Rezepte sind selbst in der schwierigsten Ausführung bewältigbar, was daran liegt, dass die Liste an benötigten Utensilien nicht allzu lang ist (für die meisten Rezepte reicht ein Schneebesen, ein Hand- bzw. Stabmixer, eine Küchenwaage, Teigspachtel, Kochlöffel, Tortenpalette und ein Nudelholz). Auch die Zutatenliste gerät nicht aus dem Ruder und alle zusätzlichen Zutaten hat man entweder zuhause, oder ganz sich diese leicht beim nächsten Supermarkt kaufen.

    Für Menschen, die sich im Gaumen nach Abkühlung sehnen, lässt es sich herrlich zu selbstgemachten Schokoeis, Holundersorbet oder Tanneneis schlemmen. Winteraffine Liebhaber*innen der süßen Küche werden sich an selbstgemachten Hustenzuckerln, Wipfelsirup und gebrannten Haselnüssen erfreuen.

    Wenn man nicht alle Begriffe versteht, ist das auch kein Problem: Ein angefügtes Glossar gibt Auskunft über die Wienerischen Dialektworte, die sehr zart und liebevoll in das Buch eingebunden worden sind.

    Mein absolutes Lieblingsrezept sind die Walnuss-Burgenlandkipferl, mit denen ich eine schöne Kindheitserinnerung verbinde: der Geschmack des noch warmen Germteigs und der süßen Nussfüllung, bei dem man gar nicht anders kann, als alles auf einen Satz wegzufuttern und sich ein Stück nach dem anderen in den Mund zu schieben. (und immer hat sie nie wer gegessen und immer waren sie zu wenig)

    Verantwortlich für dieses fantastische Buch zeigen sich vier sehr ambitionierte Menschen: Alexandra Maria Rath, die hier als Wildkräuter-Coach und Autorin fungiert. Stephan Mayer ist Food-Stylist und Speisefotograf und ist für die großflächigen, einladenden Fotos verantwortlich. David Maninger hat die grafische Ausgestaltung dieses Buch es übernommen in seiner Funktion als Grafikdesigner, genauso wie Alfons Theininger, der die Illustrationen für dieses Buches gemacht hat – selbst jene, die nicht gerne backen, werden dieses Buch gerne ansehen, weil es so sorgfältig gestaltet wurde.

    Ein bisschen Angst um all die netten Gaben der Natur hat man bei den beschriebenen Plätzen in Wien auf jeden Fall. Dieses Buch ist ein ideales Geschenk für alle Wien-Liebhaber*innen, sowie Mehlspeistiger der österreichischen, süßen Küche, das gern auch ein bisschen internationales Flair aufweisen darf.

    Süßes wildes Wien ist eine Handlungsanleitung: Bevor man einen Holler redet und verzapft, dann verarbeitet man ihn doch lieber zu einer großartigen Süßspeise.

    Informationen | Alexandrea Maria Rath | Süsses wildes Wien. Genascht wird, was in der Stadt wächst. | Gmeiner Verlag. | 224 Seiten | ISBN 9783839204191 | 32 Euro

    Ein herzliches Dankeschön an den Gmeiner Verlag für das Rezensionsexemplar.

  • [rezension] Vera Steinhäuser: Die Macht Zentrale

    [rezension] Vera Steinhäuser: Die Macht Zentrale

    „Reflektierte Rollenmodelle zu Hause sind wichtig, aber das allein wird nicht ausreichen. Es braucht in vielen Bereichen ein komplettes Umdenken und die damit einhergehenden strukturellen Veränderungen.“

    Für diese Veränderungen benötigt man Macht, so die These der Autorin Vera Steinhäuser – Macht, die derzeit männlich geprägt ist und Teil des Patriachats. Macht kann weiblich sein, Macht war schon weiblich, sie wird es wieder werden. Anhand des Machtbegriffs begibt sich die Autorin zunächst in die Vergangenheit und legt einen Abriss der Geschichte des Matriarchats vor, genauso wie Macht aus der Frauenperspektive gedacht wurde und weibliche Macht nicht mit Sexualität einhergehen muss. Sie nähert sich Schritt für Schritt der Gegenwart und arbeitet hier sehr wissenschaftlich die Themen Mental Load, sowie Care Arbeit ab. Beeindruckend wird man die Darstellung des Maternal Gatekeeping finden (samt Podcast-Folge, die man sich dazu anhören kann), also eine sehr enge Mutter-Kind Bindung, die Partner außen vorlässt und somit zur Machtposition in Bezug auf das Kind wird.

    Viele Themen fächert  Steinhäuser im Gegenwartskapitel auf: Emotionale Machtkämpfe in Bezug auf Sexualität, weibliche Berufe, Gender und Schule, Mutter Da-Sein und Social Media, Machtsituationen in modernen Beziehungen, Gleichberechtigung in Wirtschaft und Politik oder auch Einkommensunterschiede.

    Ein sehr großes Kapitel nimmt auch das Thema Heirat und Ehe ein – die Autorin legt gleich zu Beginn offen, dass sie eine Gegnerin des patriarchalen Konstrukts der Ehe ist:

    „Eine Vorwarnung für alle verheirateten Leser*innen: Es kann durchaus sein, dass auf den folgenden Seiten Content kommt, der euch nicht gefällt. Denn ich möchte mich gleich zu Beginn des Kapitels klar als Gegnerin der Ehe outen“ mir ist das wichtig, denn ich weiß mittlerweile, wie kontrovers diese Haltung von meinem Umfeld immer wieder aufgenommen wird. Also lasse ich hier besser gleich die Katze aus dem Sack.“

    Sie erzählt im Folgenden dann einen historischen Abschnitt über die Ehe und wie erst im 20. Jahrhundert rechtlich die Hausfrauenehe abgeschafft wurde und Frauen es somit gestattet war, arbeiten zu gehen, ohne ihren Mann zu fragen. Auch hier wird erneut die Rolle aus Hausfrau und Mutter eingewebt.

    Im letzten Kapitel des Buches widmet sie sich der Machtentwicklung von Frauen und schlägt hier Persönlichkeitsentwicklung, Empowerment-Faktoren und Gestaltungsmöglichkeiten wie neue Wege der Kindererziehung oder die Ermächtigung anderer Frauen vor. Steinhäuser liest sich in diesem Kapitel besonders authentisch, man merkt beim Lesen, dass dies Sätze sind, die sie mehrfach in ihren Coachings anderen Frauen mitgegeben hat. Hier wird klar: Steinhäuser will mit diesem Buch Frauen aus ihrer Machtlosigkeit helfen.

    Nachbetrachtet zeigt sich die Not, die man mit dem inhaltlichen Bau eines solchen Buches hat: Die Gegenwart lässt sich schwer von der Vergangenheit trennen und die darauffolgenden Kapitel benötigen eine historische, sowie gegenwärtige Einordnung. Zeitgleich macht sie die Einteilung in Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft unsinnig. Eine thematische Einteilung nach bspw. Frau und Beruf, Frau und Partnerschaft, …, wäre angenehmer zu lesen und nicht so viel Chaos im Kopf hinterlassen.  Gut hingegen sind die rosa unterlegten Coaching Elemente, sowie die QR-Codes, die zu Podcast-Folgen und Interviews weiterführende Einsichten anbieten.

    Die Macht Zentrale ist ein Buch (aber nicht nur, sondern auch ein Instagram Account und eine WhatsApp Gruppe), das vor allem Leser*innen gefallen dürfte, die gern populärwissenschaftliche Bücher lesen, und dennoch einen gewissen Anspruch an Wissenschaftlichkeit haben, aber gerne eine leichte Vermittlung dafür hätten. Leser*innen, die an Feminismus interessiert sind, werden sich in diese Themen mehrfach bereits eingelesen haben und auch die zitierten Studien darin wiedererkennen – Neuigkeitswert bietet es vor allem für Leute, die sich dem feministischen Diskurs der Gegenwart annähern wollen, dabei aber queere und intersektionale Aspekte noch außen vorlassen wollen. Leser*innen, die Mentaltraining mögen, werden es lieben, genauso wie Frauen in Businessjobs mit und ohne Führungsverantwortung:

    „Und diesen Mut zu haben, zahlt sich aus. Denn nur mit Mut können wir uns aus der Patrix befreien. Wir können Dinge tun, auch mit der Angst.“

    [information] Vera Steinhäuser: Die Macht Zentrale. Kremayr & Scheriau. 192 Seiten. ISBN: 978-3-218-01374-1, 24 Euro.